Am 12. Dezember 1919 feierte in Deutschland der erste Silhouettenfilm Weltpremiere. «Das Ornament des verliebten Herzens» von Lotte Reiniger.
Die Filmemacherin hatte zunächst nur Ornamente und Zwischentitel für einige der ersten Stummfilme in Deutschland geschnitten. Als Fan des damals in Deutschland beliebten Schattentheaters, erfand Reiniger dann ein ganz eigenes Metier: mit Scherenschnittfiguren animierte Filme.
Alles von Hand
«Die Animationstechnik von Scherenschnittfilmen hat sich seit damals kaum verändert», erzählt Jörg Herrmann und tritt an eine grosse, von unten beleuchtete Glasplatte in seinem Studio. «Hier ist alles in Schwarz gehalten, damit das Licht nicht reflektiert.»
Klick, Klick, Klick. Jörg Herrmann drückt im Sekundentakt auf den Auslöser seiner Kamera. Dabei schiebt er vorsichtig mit einer Pinzette den Fuss einer schwarzen Scherenschnittfigur einen halben Millimeter nach vorne. Dann drückt er wieder auf den Auslöser. Aus 24 Bildern entsteht so ein Schritt.
Die Gelenke seiner Figuren bastelt Jörg Herrmann wie Lotte Reiniger noch immer aus Haarnadeln. Zurzeit dreht er ein Auftragswerk für das Carl Maria von Weber-Museum. Der kleine Animationsfilm soll den Besuchern zeigen, wie der berühmte «Freischütz»-Komponist auf seinen Spaziergängen die Ideen für seine Kompositionen fand.
Jörg Herrmann ist deutsches Animationsfilm-Urgestein. «Gelernt habe ich mein Handwerk beim Gründer des DEFA-Trickfilmstudios, Bruno Böttge», sagt er. «Heute benutze ich auch den Computer. Aber die Figuren werden alle noch von Hand animiert.»
Sandmännchen und Spitzel
Nach dem Tod Böttges bot die DDR Herrmann die Leitung des DEFA-Trickfilmstudios an. Doch er lehnte ab. «Ich wollte das auf keinen Fall. Das hiesse nur noch Verwaltungsarbeit. Ich wollte lieber selbst Filme machen.»
Als freier Regisseur arbeitete Herrmann an 26 Folgen des Sandmännchens mit. Eine seiner Arbeiten wurde sogar verboten. Der Film «Eine unbescholtene Person» über die Versuche eines Spitzels im deutschen Kaiserreich, Karl Marx auszuspionieren. «Vermutlich haben sich auch einige Stasi-Leute direkt angesprochen gefühlt», sagt Herrmann und lacht.
3000 Euro pro Minute
Heute betreibt Herrmann mit seinen 78 Jahren das letzte Papieranimationsstudio der Welt. «Eigentlich müsste ich 3000 Euro pro Minute für jeden Film verlangen», sagt er. «Sonst ist das nicht profitabel, so viel will aber niemand bezahlen.»
Seine schwarze Kunst kann er sich nur leisten, weil er Rente bezieht. «Jungen Leuten kann man so etwa nicht zumuten.» Noch immer werden Herrmanns Filme zu zahlreichen Festivals eingeladen. Auch nach Übersee.
Herrmann ist wirklich der letzte, der noch Silhouettenfilme macht. «Wahrscheinlich stirbt das Medium mit mir aus», sagt er. «Aber ich werde noch eine genaue Bedienungsanleitung schreiben.»