Der Schauspieler und Künstler Lars Eidinger ist gefragt. Egal ob auf der Bühne als Hamlet, als Filmstar in «Babylon Berlin» oder im aktuellen Schweizer Kinofilm «Schwesterlein».
Im Gespräch erklärt der Berliner, weshalb Schauspielerei für ihn auch Bewusstseinserweiterung ist und wo für ihn Spiel und Realität aufeinander treffen.
SRF: Herr Eidinger, sind Sie als Schauspieler so etwas wie ein «Existenz-Chamäleon»?
Das gefällt mir, ja. Insbesondere das Animalische, das auch in dem Ausdruck «stage animal» steckt. Je länger ich den Beruf des Schauspielers ausübe, desto mehr versuche ich, aus dem gestalterischen Moment herauskommen. Denn dieser hat immer etwas Rationales.
Mehr Tier also und weniger Vernunft?
Ja, danach hat man eine Sehnsucht. Darum interagiere und improvisiere ich viel beim Spielen. Um ganz präsent und anwesend zu sein. Mich interessiert die Grauzone zwischen dem, was gespielt ist, und dem, was real ist – weil ich letztlich glaube, dass es diese Unterscheidung gar nicht gibt.
Auch in der Fiktion bin ich leibhaftig anwesend. Wenn ich auf der Bühne weine, dann bin ich wirklich traurig.
Gibt es Momente beim Spielen, wo Sie sich selbst quasi von aussen zuschauen?
Ja, die gibt es. Etwa dann, wenn ich weine und mir die Tränen übers Gesicht laufen. Ich bin dann auf der einen Seite traurig oder verzweifelt. Aber es gibt auch ein absolutes Glücksgefühl, im Sinne von: Wow, die Kamera läuft und mir gelingt es gerade, zu weinen.
In dem Moment, wo ich eine Rolle spiele, bin ich mehr bei mir selbst als im Alltag.
Es findet beides gleichzeitig statt. In solchen Momenten ist die Schauspielerei eine absolute Form der Bewusstseinserweiterung. Ich kann dann alles gleichzeitig wahrnehmen.
Das klingt nach einem rauschhaften Zustand.
Der spielerische Moment hat tatsächlich etwas Rauschhaftes. In der Verwandlung, also in dem Moment, wo ich eine Rolle spiele, bin ich mehr bei mir selbst als im Alltag. Ich verwandle mich, um mich selbst zu werden.
Ist die Schauspielerei also ein Vehikel der Selbsterkenntnis?
Ja. Wenn ich in einer Rolle etwas Bestimmtes ausdrücke, gibt mir das ein anderes Verständnis von mir selbst. Gewisse Gefühle, die ich in mir habe, kann ich nur in dieser Rolle zum Ausdruck bringen.
Über bestimmte Probleme, die mich ausmachen, bin ich mir nicht im Klaren, weil mir der Abstand fehlt. Wenn ich sie dagegen im Spiel ausdrücke und vor mir sehe, kann ich sie viel besser einordnen und mich dazu verhalten.
Sie gehen beim Spielen also nicht selbstvergessen in der Rolle auf?
Nein. Früher dachte ich immer, ich sei deswegen schlecht, weil ich nicht wirklich fokussiert bin. Mittlerweile weiss ich, dass ich nur dann gut bin, wenn alles gleichzeitig stattfindet. Das ist wahre Präsenz. Der selbstvergessene Moment ist für mich im Grunde wertlos.
Ich strebe nach dem selbstbewussten Moment. Mich hat im Leben immer gestört, dass ich nur im Rückblick glücklich war. Im Moment des Erlebens war ich mir dessen gar nicht bewusst.
Wenn mich jemand heimlich filmt und mir das anschliessend zeigt, dann ertrage ich mich nicht.
Ein Versuch, das Glück festzuhalten also?
Daran habe ich mich mein Leben lang abgearbeitet: an der Tragik, dass wir den Moment nicht festhalten können, weil alles im Fluss ist. Damit muss ich mich abfinden. Vielleicht habe ich aber auch Mühe damit, mich selbst zu vergessen.
Wie muss ich das verstehen?
Wenn mich jemand heimlich filmt und mir das anschliessend zeigt, dann ertrage ich mich nicht. Ich ertrage mich nur in der Gestaltung, in dem Moment, wo ich ein Bewusstsein dafür habe, wie ich rede und was ich sage. Im Moment der Kontrolle. Das ist etwas, woran ich arbeite.
Die Kontrolle, die Selbstgestaltung ist also auch ein Schutz?
Ja. Und ich habe eine Sehnsucht danach, diesen Schutz fallenzulassen. Ich weiss aber auch, wie viel Mut das erfordert und wie viele Schmerzen es mit sich bringt, sich selbst anzunehmen.
Das Interview ist ein gekürzter, leicht angepasster Auszug aus dem Gespräch von Wolfram Eilenberger mit Lars Eidinger in «Sternstunde Philosophie».