«Der Kreis» ist Geschichtsstunde und Gefühlskino zugleich: Der Film zeigt, wie sich ein Lehrer und ein Sänger im Zürcher Schwulenmilieu der Nachkriegszeit kennen und lieben lernten. Zu Symbolfiguren der Bewegung wurden Ernst Ostertag und Röbi Rapp erst 47 Jahre später: 2003 gaben sie sich als erstes gleichgeschlechtliches Paar der Schweiz das Ja-Wort.
In den dokumentarischen Passagen des Films erzählen die beiden Männer ihre rührende Liebesgeschichte und stellen dabei klar: Ohne die international gelesene Schwulenzeitschrift «Der Kreis» hätten sie sich wohl nie getroffenIhre erste Begegnung fand nämlich auf einem der rauschenden Feste statt, welche die Macher der Zeitschrift im Theater am Neumarkt organisierten. Über 800 Gäste aus ganz Europa pilgerten jeweils an die bunten Bälle, die für den Film liebevoll nachinszeniert wurden. «Der Kreis» war somit weit mehr als bloss ein Kulturmagazin mit homoerotischen Texten und Bildern. Als halbgeheimer Zirkel machte er sich auch abseits der Heftseiten für die Bedürfnisse und Rechte der Homosexuellen stark.
Repression im vermeintlichen Schwulenparadies
Aus juristischer Sicht war die Schweiz damals den umliegenden Ländern einen Schritt voraus: Seit 1942 war Homosexualität unter Erwachsenen nicht mehr strafbar. In Deutschland konnten Schwule dagegen mit Verweis auf Paragraph 175 verhaftet werden. Die Aktivitäten des 1943 gegründeten Kreises machten Zürich für Homosexuelle als Reiseziel zusätzlich interessant. Eingeweihte nannten den Freitagabendflug von Frankfurt nach Kloten darum schon bald «Warmlufthansa».
Doch nach zwei Morden im Zürcher Schwulenmilieu zu Beginn der 60er Jahre drehte auch hierzulande der Wind. Die beliebten Tanzanlässe wurden verboten und immer mehr Homosexuelle das Opfer polizeilicher Willkür. Razzien und Festnahmen waren im ehemals liberalen Zürich plötzlich an der Tagesordnung. Ein Schock, von dem sich der «Kreis» nicht mehr erholte: 1961 wurde das Lokal geschlossen, 1967 erschien die letzte Ausgabe der Zeitschrift.
Schweizer Geschichte mit universeller Tragweite
All diese historischen Eckpunkte erfährt man in Stefan Haupts jüngster Regiearbeit quasi nebenbei. Kein Wunder, schliesslich war das Projekt ursprünglich als schweizerisch-deutsche Spielfilm-Produktion geplant. Doch dann scheiterte die Finanzierung. Trotz intensiver Suche liess sich in Deutschland kein Koproduktionspartner finden. Um das Filmprojekt zu retten, musste das Budget deutlich verkleinert werden. So entstand die Idee, kostengünstige Interviews und Archivaufnahmen einzubinden. Eine Notlösung, die sich im Nachhinein als Glücksfall entpuppte.
Die Spiel- und Dok-Filmpassagen befruchten sich gegenseitig: Die Liebesgeschichte profitiert vom Charisma der Interviewten und die inszenierten Szenen führen bildlich fort, was nicht in Worte zu fassen ist.
Wie ein nahtloses Ganzes fühlt sich der Film vor allem wegen Stefan Haupts geschickter Arbeitsweise an: Zunächst drehte er sämtliche Dokumentaraufnahmen, bevor er mit den Spielfilmszenen begann. Haupt wusste somit auf dem Schauspiel-Set genau, welche Erzähllücken noch gefüllt werden müssen.
Das Ergebnis ist ein wunderbar homogener Liebesfilm, der dank seiner universellen Gültigkeit bereits sechs internationale Festivalpreise abgeräumt hat. Besonders prestigeträchtig: der Gewinn des Teddy Award auf der diesjährigen Berlinale.