- Filmemacher Nicolas Wadimoff porträtiert den früheren SP-Nationalrat und Soziologie-Professor Jean Ziegler, bei dem er in Genf einst studiert hatte.
- Wadimoff nähert sich der linken Polit-Ikone weniger mit kritischer Distanz, als vielmehr mit «empathischer Kritik», wie er es nennt.
- «L'optimisme de la volonté» wurde am Filmfestival Locarno uraufgeführt, läuft diese Tage an den Solothurner Filmtagen und ab dem 19. Januar 2017 in den Kinos.
«Casino-Kapitalismus!»
Jean Ziegler im Bett mit Ueli Maurer: Es war in den späten 1990er-Jahren, als der damalige SP-Nationalrat und Soziologie-Professor langsam zur Witzfigur wurde. Mit ein bisschen Hilfe von «Viktors Spätprogramm».
Unvergessen: Maurer blättert in einem «Globi»-Band – Ziegler liest in einem seiner kapitalismuskritischen Bestseller und hat viel Zahnpasta-Schaum vor dem Mund: «Casino-Kapitalismus! Agenten der Weltmacht! Monopolistische Grossbourgeoisie!»
Schreibtischbombenrhetorik
Das Phänomen Jean Ziegler: Da ist seine Schreibtischbombenrhetorik. Der heilige und eilige Ernst, mit dem er sich ins Feuer redet. Dazu kommt der wenig diskrete Charme des kleinen Bourgeois, der er immer geblieben sei, wie er in «L'optimisme de la volonté» sagt.
Ein Kunststück war es nie, den grossen Übertreibungskünstler satirisch zu überhöhen – dafür ist Ziegler einen Tick zu nahe an seiner Karikatur gebaut. Ein eitler Geck: Sogar Nicolas Wadimoff filmt ihn einmal dabei, wie er sich vor einer Rede das Haupthaar kämmt, das ihm doch längst ausgefallen ist.
Alte Bekannte
Aber Wadimoff nimmt seinen Ziegler ernst. «Kritisch empathisch» nennt er den Ansatz, diesem Mann nahe zu kommen, den er in jungen Jahren hautnah erlebt hatte: als Soziologiestudent der Universität Genf, der sich bald dem sozial engagierten Film verschrieb.
Die frühe Szene in «L'optimisme de la volonté» – als Ziegler Wadimoff die Übersetzungen seiner Bücher ins Mongolische zeigt: Sie erscheint als augenzwinkernde Absage an die Homestory, die dieser Dokumentarfilm gerade nicht ist.
Theorie vs. Praxis
München, Genf, Havanna: Wadimoff verzahnt eine Ziegler-Rede vor Globalisierungsgegnern mit Auftritten vor der UNO und einer Reise auf die Insel von Fidel Castro und Che Guevara.
Guevera war es, der Ziegler einst gelehrt hatte: «Kämpfe da gegen die Drahtzieher des Systems, wo du geboren bist.»
«Kritisch empathisch» heisst auch: Wadimoff setzt seinen früheren Lehrmeister nicht einfach dem Sperrfeuer von Freunden und Feinden aus. Er will sehen, wie Jean Ziegler seine Theorien in der Praxis überprüft.
Felsen und Stolpersteine
Wadimoff begegnet Ziegler als einem Mann, der viel zu sagen hat. Als einem, der so viel zu sagen hat, dass er schon gar nicht mehr zuhört. Che Guevara ist der feste Fels seines politischen Glaubens: Was sind da die kleinen Stolpersteine auf dem Weg Richtung sozialistisches Paradies?
Bezeichnend: In Havanna lobt Ziegler erst mal die Dunkelheit der Stadt («Kein Licht, keine Werbung, kein Verkehr: So sollte jede Gesellschaft sein!»). Später die eigenen Antworten und das Foto («Ich bin gut getroffen»), als er das Gespräch nachliest, das er einer der drei auf Kuba zugelassenen Zeitungen gewährte.
Kurzschlüsse auf Kuba
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Die leisen regime-kritischen Bemerkungen eines früheren Studenten, den es Zieglers Bücher wegen nach Kuba verschlagen hatte? Ziegler lacht nur.
Aus dem Umstand, dass vor einem TV-Interview niemand von ihm habe wissen wollen, worüber er denn sprechen werde, schliesst Ziegler kurz auf die Redefreiheit im Lande.
Blind vor Liebe
Nicolas Wadimoff lässt Jean Ziegler immer wieder ins Messer laufen. Und neben dem dennoch Begeisterten sitzt seine Frau, die mit ihren Einwänden die Dinge auf den Punkt bringt. Wenn sie ausnahmsweise zu Wort kommt.
Jean Ziegler und seine vielleicht bessere Hälfte mit dem scharfen Blick für den Zustand der Dinge – aber das wäre eine andere Liebesgeschichte.
Kinostart: 19.1.2017