«Wird man mit zwei Alternativen konfrontiert, Leben und Tod, so soll man ohne Zögern den Tod wählen». Dieser Satz stammt aus dem japanischen Verhaltenskodex von «Bushido», dem «Weg des Kriegers». Es ist die erste und letzte Weisheit aus dem Buch «Hagakure: Der Weg des Samurai», das der Japaner Yamamoto Tsunetomo geschrieben hat.
Der Finanzchef Alexander Maier (Stefan Kurt) hat das Buch vom neuen deutschen CEO Brockmann (Ulrich Tukur) bekommen. Dieser soll den kränkelnden Schweizer Grosskonzern «Walser», tätig in der Autozuliefererindustrie, wieder auf Kurs bringen – und Maier muss mitgehen.
Machtkampf der Manager
Der Konzern «Walser» ist fiktiv, eine Erfindung von Drehbuchautorin Simone Schmid und Regisseurin Sabine Boss. Aber vieles an diesem eindrücklichen Film über Machtkämpfe von Topmanagern, über Einsamkeit, Druck und Ausweglosigkeit ist echt.
Die Geschehnisse, die im Film «Jagdzeit» erzählt werden, sind angelehnt an wahre Begebenheiten – ausgehend von den Suiziden von Topmanagern wie Swisscomchef Carsten Schloter oder Zurich-Finanzchef Pierre Wauthier. Letzterer hinterliess einen Brief, in dem er den Verwaltungsratsvorsitzenden Joe Ackermann schwer anklagte.
Wachsende Verzweiflung
An diesen Fall lehnt sich die Geschichte von «Jagdzeit» um den etwas biederen, stets um Korrektheit bemühten, lösungsorientierten Alexander Maier an. Als mit Hans Werner Brockmann ein fachfremder neuer CEO aus Deutschland in die Firma geholt wird, entspinnt sich ein Machtkampf, der Druck auf den Finanzchef erhöht sich immer mehr.
Stefan Kurt spielt diesen Maier eindrücklich, seine langsam wachsende Verzweiflung, seine Einsamkeit. Man sieht zu, wie der so korrekte Mann immer fahriger wird, wie seine Gesichtszüge und seine Frisur langsam entgleisen.
Kein Platz für Privatleben
Sabine Boss und Simone Schmid haben für den Film lange und genau recherchiert, sich immer wieder beraten lassen, Geschäftsleitungssitzungen praktisch im Wortlaut aus der realen Konzernwelt übernommen. Das verleiht dem Film eine grosse Glaubwürdigkeit – nie ist zu dick aufgetragen, nie wirkt diese Atmosphäre der Topmanager glamourös oder aufgeblasen.
Die Welt dieser Menschen, für die ein einziges, falsch gesetztes Komma eine Katastrophe bedeutet, ist eine Welt aus Glas, aus Ecken, aus Metall und aus hässlichen Teppichen. Auch die private Wohnung von Alexander Maier unterscheidet sich kaum von seiner Bürowelt: nur Ecken, gerade Linien, Glas, kaum Farben. Und im Keller eine virtuelle Schiessanlage.
Fehlende Empathie mit Topmanagern
Was im Film etwas zu kurz kommt, ist das private Umfeld Maiers. Figurenzeichnung, Beziehungen zu seinem Teenager-Sohn und seiner in Trennung lebenden Frau bleiben blass und etwas oberflächlich. Aber dann wiederum passt das auch zum Leben Maiers, der tatsächlich kaum Zeit, Energie und Gedanken hat für eine Welt ausserhalb des Firmengeländes. Er bekommt weder mit, dass seine Frau längst eine neue Beziehung hat, noch gelangen die Wünsche und Nöte seines Sohnes an ihn heran.
Bei der Premiere in Solothurn sprach Sabine Boss darüber, was sie zum Film inspiriert hatte: Die oft (aus Sozialneid heraus) fehlende Empathie mit solchen Topmanagern. Lese man die Meldung über einen Suizid, käme als erstes der Gedanke: Warum ist denn der nicht ausgestiegen, der hat doch so viel Geld? «Jagdzeit» zeigt eindrücklich, warum: Weil es aussen vermeintlich nichts mehr gibt, was einen Ausstieg lohnt.