Serien sind im Trend – besonders historische Serien –, auch an den Solothurner Filmtagen. Monika Dommann, Historikerin für Mediengeschichte, diskutierte dort mit Regisseurinnen und Produzenten über Geschichte in Serien.
Im Interview spricht sie darüber, warum historische Serien so beliebt sind, und welche Serie ihren Ansprüchen als Historikerin genügt.
SRF: Warum gibt es so viele historische Filme und Serien?
Monika Dommann: Das Kino schafft, was wir sonst nur beim Träumen können: Zeitreisen, vorwärts und rückwärts spulen. Serien eignen sich gut zum Eintauchen in andere Welten. Manchmal als Flucht, manchmal als Auseinandersetzung.
Ist denn das Interesse des Publikums an historischen Stoffen so gross?
Wir beobachten schon lange, dass es ein immenses Interesse an Geschichte gibt. Der Philosoph Hermann Lübbe beispielsweise sprach bereits in den 1980er-Jahren von einer «progressiven Musealisierung». Ich glaube, wir sind immer noch in diesem Umfeld.
Im Fall von Serien sollten wir aber eher von «Reenactment» sprechen als von Musealisierung oder Konservierung. Das Fazit bleibt das gleiche: Wir kommen nicht los von der Geschichte. Das hat weniger mit der Vergangenheit zu tun als mit der Gegenwart. Die Menschen fragen sich: Woher komme ich eigentlich? Und so manch einer sehnt sich auch in die Vergangenheit zurück.
Welche Serie bedient denn diese Sehnsucht nach Vergangenheit?
Aktuell vielleicht «Babylon Berlin». Tatsächlich stelle ich mir die Frage: Wieso wird jetzt eine Serie über die 20er-Jahre gedreht, die sich ausschliesslich auf Rausch, Sex und Gewalt konzentriert?
Klar, auch Politik spielt darin eine Rolle, ebenso so die gesellschaftlichen und sozialen Probleme von damals. Aber das bleibt alles Kulisse, der zentrale Plot ist ein Krimi. Als Historikerin interessiere ich mich aber für gesellschaftliche Zusammenhänge. So gerate ich mit dieser Serie in Konflikt.
Gibt es Serien, die Ihren Anforderungen als Historikerin genügen?
Interessant finde ich die Serie «Chernobyl». Hier werden grundlegende Fragen gestellt: Was passiert bei einer Kernschmelze? Wie reagiert das politische System? Was bedeutet das für Menschen, Tiere, die Natur?
Es ist allerdings auch eine hoch emotionalisierte und personifizierte Serie. Und: Es ist eine amerikanische Serie, die auf Russland blickt. Trotzdem schafft die Serie Bilder, die wir als Historikerinnen niemals so hinbekommen würden. Das sprengt, was wir in Worte fassen können. Das ist grosses Kino!
Eignen sich Serien besser für historische Stoffe als Filme?
Serien ermöglichen die Illusion einer «histoire totale». Eine Serie entspricht einem Panorama. Sie zeigt verschiedene Perspektiven und lässt unterschiedliche Stimmen einfliessen. Diese verdichten sich, entwickeln aber auch nebeneinander eine Geschichte. Das kann ein 90-minütiger Film nicht leisten.
Verändern historische Serien unsere Sicht auf die Geschichte?
Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, in welchem Moment die Filmindustrie die Stoffe bearbeitet. Manchmal ist sie schneller als die Geschichtsschreibung selbst.
Ein berühmtes Beispiel ist dafür der Vietnamkrieg. Bereits seit den 70er-Jahren gibt es viele Fiktionalisierungen des Stoffes, in allen möglichen politischen Schattierungen. Die Bilder, die wir heutzutage von diesem Krieg im Kopf haben, wurden mehr durch Filme wie «Apocalypse Now» geprägt als durch Geschichtsbücher.
Das wird durch die Wucht der heutigen Bild- und Tonquellen noch zunehmen. Geschichte ist nicht im Elfenbeinturm zuhause, sie findet überall statt. Vom Schlachtengemälde bis hin zu «Mad Man» und «Chernobyl»: Geschichte ist Teil der Popkultur.
Das Gespräch führte Annette Scharnberg.