Die Solothurner Filmtage sind ein Kind der Krise: Als sich die Filmgilde Solothurn 1966 erstmals traf, waren ein, zwei arg magere Jahre ins Land des Schweizer Films gezogen. Der einst so populäre «Heimatfilm», gegen den damals gewettert wurde, lag längst brach. Ein neuer Wind musste mit Kraft herbeigeblasen werden.
Rückblickend könnte man das Treffen in Solothurn als eine verspätete Reaktion auf die französische Nouvelle Vague oder das Oberhausener Manifest werten, oder als Abwehrreaktion gegen das aufkommende Fernsehen. Doch der Ruck war notwendig, und die Stossrichtung war klar: Der Schweizer Film musste sich der Realität angleichen. Er musste militanter werden. Er musste Gesprächsstoff statt Unterhaltung liefern.
Als der Schweizer Film seine eigenwillige Form fand
Neue Talente waren gefragt, und sie liessen nicht auf sich warten: Alain Tanner und Fredi M. Murer machten von sich reden, dank Jacqueline Veuve und Alexander J. Seiler etablierte sich eine neue Form des Dokumentarfilms auf der Leinwand. Schon bald sorgte die 68er-Bewegung mit ihren umstürzlerischen Ideen in Solothurn für neue Ansätze und Inhalte – egal, ob man dem Trend euphorisch oder ernüchtert gegenüberstand.
Die Liste der Namen relevanter Filmschaffender in der Schweiz wuchs: Claude Goretta, Kurt Gloor, Daniel Schmid, Rolf Lyssy und Yves Yersin waren populär. Der Schweizer Film hatte zu einer eigenwilligen Form gefunden, die halbwegs dem entsprach, was man sich in der Gründerzeit dieser Bewegung erhofft hatte. Doch eine konfliktfreie Zone war der Schweizer Film nie, und bis heute sind die Filmtage der Ort und der Zeitpunkt im Jahr, an dem die Frustrationsventile bis zu einem gewissen Punkt geöffnet werden.
Gekränkte Eitelkeiten und schlichter Neid
Die Streitkultur in Solothurn manifestierte sich im Verlauf der Jahrzehnte mal plakativer, mal diskreter. Zunehmend war es der Subventionsgrad des Schweizer Films, der für böses Blut sorgte. Oder banaler ausgedrückt: das Geplänkel darüber, wer wofür wie viel Geld erhielt. Zu ernsten Forderungen und strukturellen Anpassungsversuchen gesellten sich oft gekränkte Eitelkeit oder schlichter Neid. Und manchmal durfte man sich gar fragen, ob radikale Positionen tatsächlich besetzt oder einfach nur probeweise durch den Raum geschoben wurden.
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Im aktuellen Klima finden solche Auseinandersetzungen wieder vermehrt hinter verschlossenen Türen statt, und die aktuelle Leiterin der Filmtage, Seraina Rohrer, wünscht sich das auch so. Doch auch am Horizont der Jubiläumsausgabe zieht bereits wieder Polemik auf. Der Filmjournalist Christian Jungen bezeichnete die Veranstaltung in der «NZZ am Sonntag» unlängst als «entbehrlichste Filmveranstaltung der Schweiz».
Hochburg der politischen Korrektheit?
Jungens These: Das einstige Widerstandsnest sei heute nur noch eine Hochburg der politischen Korrektheit. Damit beschwört er unweigerlich ein Bild der Schweizer Filmbranche herauf, das sich in vielen Köpfen hartnäckig hält: Jeder kennt in der Szene jeden, alle werden durchgefüttert und sind mit Selbstverwirklichung auf Kosten der Allgemeinheit beschäftigt. Letztlich hackt keine Krähe der anderen ein Auge aus.
Eine solche Sicht auf die hiesige Filmszene ist feindselig, aber sie trifft wunde Punkte. Zu viele Schweizer Filme floppen. Niemand, so sagen die Filmschaffenden, kann einen Erfolg planen oder einen Misserfolg verhindern. Erst recht nicht beim Schweizer Publikum, das extrem unberechenbar ist: Was es im einen Jahr liebt, schmäht es im nächsten. Fast alle Exponenten des Schweizer Films haben es erlebt, wie sich die Massen nach einem Grosserfolg wieder von ihnen abwandten.
Das Publikum mehr einbeziehen
Wenn es die Solothurner Filmtage heute dringend braucht, dann aus diesem Grund: Die Veranstaltung ist nicht nur ein Branchentreff, sondern auch ein Publikumsanlass mit einem Grossaufmarsch von begeisterungsfähigen Zuschauern, wie ihn der Schweizer Film sonst kaum erlebt.
Dieses Publikum kann man auswerten, befragen, um seine Meinung bitten. Nicht, dass damit eine neue Verlässlichkeit garantiert wäre: In Solothurn wurden immer wieder Filme gefeiert, die später trotzdem versanken – und umgekehrt. Aber ein noch stärkerer Einbezug der anwesenden Massen wäre zumindest ein Signal gegen das leidige Bild eines Elfenbeinturms, dessen Bewohner nur um sich selbst bekümmert sind.