Was bringt der «Prix de Soleure», der dieses Jahr zum zehnten Mal vergeben wird? Seraina Rohrer, Direktorin der Solothurner Filmtage, über den Preis für den Schweizer Film mit humanistischem Antlitz.
SRF: Kriegen Sie die bisherigen neun Gewinner zusammen?
Seraina Rohrer: Mehr oder weniger. Auffällig ist, dass zum ersten Mal ein Spielfilm gewonnen hat. Auffällig sind auch die vielen Welschen – Jean-Stéphane Bron, Nicolas Wadimoff, Fernand Melgar.
Dann haben wir Mano Khalil und seinen wunderbaren « Imker » oder Eva Vitija mit « Das Leben drehen – wie mein Vater versuchte das Glück festzuhalten ». Vor meiner Zeit wurde Nicola Bellucci ausgezeichnet. Aber angefangen hat alles mit Fanny Bräuning und ihrem Indianerfilm « No More Smoke Signals ».
Der «Prix de Soleure» – das Gütesiegel mit der Aufschrift «gesellschaftlich relevant»: Warum hat die Schweiz ausgerechnet diesen Preis gebraucht?
Ich habe den «Prix de Soleure» nicht erfunden. Was ich aber weiss: Die Solothurner Filmtage haben eine lange Tradition der Debatte. Es macht also Sinn, nicht einen besten Erstling oder Drittling auszuzeichnen wie an vielen anderen Festivals. Sondern Filme, die Diskussionen anstossen.
Gesellschaftlich relevante Themen haben viele Schweizer Filme. Aber noch lange nicht alle sind innovativ erzählt.
Die Solothurner Filmtage sind ein Schaufenster, das der Schweiz einen Spiegel vorhält. Der «Prix de Soleure» verstärkt das – ohne deshalb gleich ein religiöser Gutmenschen-Preis sein zu müssen. Es ist übrigens jedes Mal eine echte Herausforderung, die Auswahl für die Nominierten zu treffen.
Die Schweiz – ein Musterland des engagierten Kinos?
Gesellschaftlich relevante Themen haben viele Schweizer Filme. Aber noch lange nicht alle sind innovativ erzählt.
Ihr Lieblingsgewinner?
«Der Imker» war wirklich eine wunderschöne Überraschung.
Weshalb?
Migration ist ein wichtiges Thema unserer Zeit. Wie Mano Khalil es schafft, uns einen Menschen hinter einem gesellschaftlichen Phänomen näherzubringen – das ist genau das, was ein Film leisten kann.
Sehr stark finde ich auch, dass Mano Khalil sich traut, ganz auf seinen Protagonisten zu setzen. Und nicht meint, er müsse noch aus dem Off die Rahmenbedingungen erklären.
Debatten anzustossen sei das Ziel, haben Sie gesagt. Wie gerecht ist der «Prix de Soleure» seinem Anspruch bisher geworden?
Nehmen wir den «Imker» oder zuletzt « Die göttliche Ordnung », der die Einführung des Frauenstimmrechts zum Thema hatte: Ich bin sicher, der «Prix de Soleure» hat dazu beigetragen, dass diese beiden Filme noch einmal mehr im Rampenlicht standen.
Man kann noch so spannende Figuren finden – wenn die Form nicht stimmt, hast du deine Chance vertan.
Es gibt aber auch Filme, die ich kritischer sehe. « Spartiates » etwa, der ja eigentlich kein Schweizer Thema verhandelt.
Der Film porträtiert einen jungen Kampfsportler, der in Marseille Jugendliche trainiert.
Wir fanden damals trotzdem, der Film sei wichtig.
Herr und Frau Schweizer sollen ruhig mal über den eigenen Tellerrand schauen?
Genau. Das gilt auch für « Cleveland vs. Wall Street ». Der Film blickt zwar nach Amerika, macht die Tragödie der Immobilienblase aber an Menschen fest.
Menschen zuerst: Ist das die Kurzformel für Seraina Rohrers filmisches Credo?
Die Menschen sind mir immer wichtig. Es geht aber immer auch um die Form. Man kann noch so spannende Protagonisten finden – wenn die Form nicht stimmt, hast du deine Chance vertan.
Was sagt uns die Tatsache, dass – Stand heute – acht von neun «Prix de Soleure»-Gewinner Dokumentarfilme sind?
Der Schweizer Dokumentarfilm ist wirklich sehr stark, eben auch in formaler Hinsicht. Man muss aber auch sagen: Es waren in den letzten Jahren immer weniger Spielfilme für den «Prix de Soleure» nominiert.
Woran liegt’s?
Die zentrale Frage in der Auswahlkommission ist immer: Kann ein Film eine Debatte anstossen? Da ist man mit Spielfilmen, mit denen man sich in einem fiktionalen Universum aufhält, das nicht zwingend Schlüsse auf das eigene Leben zulässt, immer schon im Nachteil.
Wie hat der «Prix de Soleure» die helvetische Kinolandschaft verändert?
Er festigt den Schweizer Film als ein Kino der Reflexion. Er führt die Tradition weiter, dass der Dokumentarfilm ein wichtiger Faktor in unserer Branche ist.
Der Preis bringt dem Schweizer Film etwas – aber nicht über die Landesgrenzen hinaus.
Ich glaube nicht, dass ein Preis die Welt verändern kann. Aber ich glaube, der «Prix de Soleure» fördert die Wertschätzung einer Form von Kino, das eine Auseinandersetzung mit der Welt sucht. Das mehr sein will als nur Unterhaltung.
Ich finde es wichtig, dass die prägenden gesellschaftlichen Themen unserer Zeit – da gehören neben der Migration auch die Umwelt oder die Verteilung des Wohlstandes dazu – auch im Kino stattfinden.
Und das Publikum weiss es zu schätzen?
Die Vorstellungen sind zu 98 Prozent ausgelastet. Beim Publikum ist der Preis angekommen. Der «Prix de Soleure» ist neben dem Publikumspreis die beliebteste Sektion.
Internationale Strahlkraft hat der «Prix de Soleure» aber keine.
Der Preis bringt dem Schweizer Film etwas – aber nicht über die Landesgrenzen hinaus. Preise aus dem eigenen Land sind schön, sie tragen aber nicht zu einer grösseren Verbreitung im Ausland bei. Für mehr Strahlkraft im Ausland muss der Schweizer Film Preise im Ausland gewinnen.
Fehlt uns eigentlich nur noch Ihre Prognose für den zehnten Gewinner des «Prix de Soleure»?
Das darf ich doch nicht tun!
Das Gespräch führte Stefan Gubser.