Sommer 2015: Bereits am frühen Morgen herrschen am Set von «Lina» im Zürcher Oberland hochsommerliche Temperaturen. Gedreht wird in einem Herrenhaus am Ortsrand, dessen Vorgarten einem Ameisenhügel gleicht: Rund 30 Kameraleute, Tontechniker, Visagisten und viele andere tummeln sich auf der beschränkten Fläche. Sie verlegen Kabel, verschieben Möbel und verhängen im Inneren des Hauses die Fenster, um eine Nachtszene zu drehen.
Grosse Liebe und unglückliche Umstände
Was in dem Herrenhaus gedreht wird: eine Szene des Dramas «Lina» unter der Regie von Michael Schaerer. Die Geschichte spielt im Jahr 1969. Die damals 17-jährige Titelheldin (Rabea Egg) geht eine Beziehung mit ihrer Sandkastenliebe Julian (Flurin Giger) ein. Dieser kommt aus gutem Elternhaus und studiert in der Stadt, während Lina im Dorf bei ihren Eltern in ärmlichen Verhältnissen lebt.
Ihre Liebe zu Julian sowie zahlreiche unglückliche Umstände führen dazu, dass Lina in eine Umerziehungsanstalt eingeliefert wird. «Administrativ versorgt» war damals der Fachausdruck dafür. Nach einem missglückten Fluchtversuch landet die Jugendliche schliesslich im Gefängnis, wo sie einen Sohn zur Welt bringt, der gleich darauf zur Adoption freigegeben wird.
Schlaghosen und Etuikleider
Die düstere Geschichte aus den späten 1960er-Jahren stellt nicht nur hohe Anforderung an die Darsteller, sondern auch an die Maskenbildner und Ausstatter.
Die Schauspieler, die am Set eintrudeln, müssen vor dem Drehstart entsprechend eingekleidet werden. Auf die Männer warten Schlaghosen und enge Hemden, auf die Frauen taillierte Blusen aus Polyester und Etuikleider. Anschliessend geht es an die Frisur: lange Haare und aufwändige Hochsteckfrisuren.
Ein Stück Schweizer Geschichte
In «Lina» geht es natürlich nicht nur darum, den Zeitkolorit einzufangen, sondern ein Stück Schweizer Geschichte zu erzählen. Ab 1942 konnten Jugendliche und Erwachsene ohne Anhörung oder Gerichtsurteil von der Verwaltungsbehörde weggesperrt werden, wenn sie negativ aufgefallen waren. Als Gründe für diese Zwangsmassnahme wurden unter anderem «liederlicher Lebenswandel» oder «Arbeitsscheue» genannt. Diese sogenannte administrative Versorgung war in den späten 1960er-Jahren nicht unüblich und wurde oft zu Unrecht durchgeführt.
Die Versorgungen wurden bis 1981 durchgeführt, bis sie durch die Europäische Menschenrechtskonvention verboten wurden. Opfer erhielten Recht auf Akteneinsicht. Der Bundesrat entschuldigte sich. Über Entschädigungen wird bis heute gesprochen. Erst im November 2015 erschien in St. Gallen ein Forschungsbericht zu dem Thema. Er ist damit einer der ersten Kantone, der administrative Versorgungen aufarbeitet. Deshalb ist «Lina» nicht nur eine einfache Zeitreise in die Vergangenheit, sondern ein wichtiger Film über ein wichtiges Thema.