- In «Vertigo» beschattet ein ehemaliger Polizist die Ehefrau eines Freundes und verliebt sich in sie.
- Nach deren Tod begegnet er ihrer Doppelgängerin und gerät in einen Strudel aus Lug, Trug und Mord.
- Der Film floppte bei Erscheinen 1958. Erst nach und nach kam die Annerkennung.
1. Experiment
«Vertigo» – zu Deutsch «Höhenangst», aber auch «Schwindel»: Die Mehrdeutigkeit im Titel lässt bereits auf die Handlung schliessen. Alfred Hitchcock experimentierte mit diesem Film an der Schnittstelle zwischen Wahrheit und Illusion.
Ex-Polizist John «Scottie» Ferguson (James Stewart) verliebt sich in Madeleine Elster (Kim Novak), kann jedoch ihren tödlichen Sturz von einem Turm nicht verhindern, weil er an Höhenangst leidet. Erst eine Doppelgängerin lässt ihn wieder hoffen und lieben, bis er auch sie auf tragische Art und Weise verliert.
Dass jedoch nicht das Schicksal, sondern ein bösartiger Mordkomplott hinter allem steckt, erfährt Scottie erst, nachdem er beinahe den Verstand verloren hat. Um dies zu veranschaulichen, baute Alfred Hitchcock an verschiedenen Stellen psychedelische Bildsequenzen ein oder liess Menschen wie Geister erscheinen.
2. Nekrophile Sehnsucht
Alfred Hitchcock fasste die Handlung in einem Interview mit Regisseur François Truffaut trocken zusammen: «Da ist der den Mann beherrschende Drang, ein unmögliches sexuelles Bild wieder zum Leben zu erwecken. Um es ganz einfach zu sagen: Der Mann möchte mit einer Toten schlafen. Es geht um Nekrophilie.»
Umso erstaunlicher, dass Hitchcock für die Hauptrolle den für sein Saubermann-Image bekannten Schauspieler James Stewart aussuchte. Filmkenner vermuten, dass Hitchcock mit «Vertigo» seine eigenen Ängste, Abgründe und Sehnsüchte verarbeitete.
3. Zweite Wahl
Kim Novak war Hitchcocks zweite Wahl für die Besetzung der weiblichen Hauptrolle. Nachdem seine langjährige Favoritin Grace Kelly zwei Jahre zuvor Monacos Fürst Rainier geheiratet und sich von der Schauspielerei verabschiedet hatte, setzte er auf die 25-jährige Vera Miles.
Mit ihr hatte er bereits Probeaufnahmen gemacht und war begeistert von deren Präsenz. Kurz vor den geplanten Dreharbeiten wurde Miles jedoch schwanger und kam für die Rolle nicht mehr in Frage.
Hitchcock verübelte ihr das «schlechte Timing», wie er später gegenüber seinem Freund François Truffaut gestand: «Sie wäre durch diese Rolle zum Star geworden. Stattdessen wurde sie schwanger. Danach hatte ich das Interesse an ihr verloren».
4. Vertigo-Effekt
Hitchcocks Spezialität war die konsequente Suche nach neuen Stilmitteln. In «Vertigo» wurde der «Dolly-Zoom» als wiederkehrender Effekt eingesetzt. Mittels zwei gleichzeitigen Bewegungen (Kamera-Zoom und Rückfahrt) entsteht ein irritierender, sogartiger Eindruck. Damit setzte Hitchcock die Höhenangst seines Hauptdarstellers optisch um.
Erstmals wendete Hitchcock den «Dolly-Zoom» in seinem Film «Spellbound» (1945) ein. Dennoch etablierte sich diese bis heute angewandte Kameratechnik später als «Vertigo-Effekt». Regisseur Steven Spielberg wandte den Trick in «Jaws» an, weshalb der «Dolly-Zoom» auch gelegentlich «Spielberg-Shot» genannt wird.
5. Verkanntes Meisterwerk
«Vertigo» war zu seiner Zeit kein Kassenschlager. Filmkritiker lobten zwar den komplexen Plot, kritisieren hingegen die längliche Inszenierung über mehr als zwei Stunden. Die Besessenheit des Hauptdarstellers von einem Frauenbild, das um jeden Preis erhalten bleiben musste, wurde vom Publikum verhalten aufgenommen.
Um die emotionale Instabilität seiner Protagonisten zu unterstreichen, setzte Hitchcock – erstmals in einem Film – grafische Elemente ein. Diese Bilderwelt verlangte neue Sichtweisen. Es dauerte mehr als 10 Jahre, bis «Vertigo» die verdiente Anerkennung zuteil wurde. In den späten 60er-Jahren war das Publikum bereit, sich mit Beziehungsfragen, Urängsten und psychischen Abgründen zu befassen.
6. Späte Anerkennung
Viele Regisseure erachten «Vertigo» als einen der besten Hitchcock-Filme, wenn nicht als sein grösstes Werk. Eine internationale Kritiker-Jury wählte Hitchcocks Arbeit im Jahr 2012 zum besten Film aller Zeiten. Regisseur Martin Scorsese zählt «Vertigo» zu seinen persönlichen Favoriten.
«Es ist etwas Besondere an diesem Film», sagte Scorsese in einem Interview, «Ich schaute ihn mir immer wieder an. Es hat mit der Besessenheit des Hauptdarstellers zu tun. Die Geschichte ist gar nicht so wichtig. Faszinierend ist die Art und Weise, wie der Zuschauer durch die Story geführt wird. Darum ist dieser Film einer der besten von Hitchcocks Werk.»