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Der bärtige Musiker Didier (Johan Heldenbergh) und die zierliche Tätowiererin Elise (Veerle Baetens) in Umarmung.
Legende: Die zierliche Tätowiererin Elise (Veerle Baetens) und der bärtige Musiker Didier (Johan Heldenbergh). filmcoopi

Film & Serien Von grosser Liebe, tragischem Verlust und unendlichem Schmerz

«Die Beschissenheit der Dinge», so hiess Felix Van Groeningens letzter Film über Männer, deren Fröhlichkeit zuweilen ins Gegenteil kippt. Dieser Titel könnte auch der Untertitel des neuen Films sein: In «The Broken Circle» führt der Belgier vor, wie eine grosse Liebe an schlimmem Verlust zerbricht.

Dass «The Broken Circle» nicht einfach eine schöne Liebesgeschichte ist, wird schon in den ersten Szenen klar: Da sitzt ein Paar im Krankenhaus und erfährt, dass ihre sechsjährige Tochter an Leukämie erkrankt ist – und die Frau bittet ihren in Tränen aufgelösten Mann, in Gegenwart der Tochter positiv zu sein und nicht zu weinen.

Eine unkonventionelle Liebe

Dann springt der Film zurück und erzählt eine wunderbare, herzergreifend schöne Liebesgeschichte: Von Didier, der sich ein verfallenes, unbewohnbares Bauernhaus gekauft hat und im Wohnwagen davor lebt, und der sein Leben ganz der amerikanischen Bluegrass-Musik verschrieben hat. Und von Elise, der zierlichen Tätowiererin, die ihr Leben nicht nur auf der Zunge, sondern auch auf der Haut trägt, und deren Stimme wunderbar mit Didiers harmoniert. Bald teilen die beiden ihr Leben, bald singt Elise in Didiers Band und bald haben die beiden eine wunderbare Tochter Maybelle – benannt nach Maybelle Carter, der Mutter von June Carter – und sind eine unkonventionelle, aber tolle Familie.

Springen zwischen den Zeiten

Schwarz-weisse Porträtaufnahme des 1977 geborenen belgischen Regisseurs und Drehbuchautors Felix Van Groeningen.
Legende: Der 1977 geborene belgische Regisseur und Drehbuchautor Felix Van Groeningen. filmcoopi

Der belgische Regisseur Felix Van Groeningen hat einen ganz eigenen Erzählstil: Nicht chronologisch und auch nicht vollständig rollt er die Liebe des grossen, liebevollen und etwas unbeholfenen bärtigen Musikers und seiner zierlichen, aber starken Frau auf. Einfach so springt er zwischen den Jahren hin und her (der Film spielt während etwa sieben Jahren) und er lässt zwangsläufig vieles weg – und erzählt aber auch in diesen Auslassungen so einiges.

Als Elise nach kurzer Zeit schon schwanger wird, reagiert Didier auf ganz eigene Art. Da wird nichts ausgesprochen, aber vieles einfach filmisch gezeigt: Der überrumpelte Didier fährt aufgebracht mit seinem Pickup davon. Und als er zurückkommt, hat er nicht nur einen Freund dabei, sondern das Auto voller Zementsäcke und Werkzeug. Das zeigt alles gleichzeitig: die Angst des Mannes vor Veränderung, aber auch seine Freude über das Kind und die Veränderung, die die Familienplanung bewirkt. Jetzt muss endlich der Hof umgebaut werden, jetzt braucht die entstehende Familie ein schönes Heim.

Schläge in die Magengrube des Publikums

Tochter Maybelle, Vater Didier und Mutter Elise in ihrem Wohnwagen.
Legende: Eine unkonventionelle, aber tolle Familie: Tochter Maybelle, Vater Didier und Mutter Elise in ihrem Wohnwagen. filmcoopi

Als Zuschauer glauben wir: Das hier ist eine grosse Liebe, der nichts passieren kann. Eine Familie, die unkonventionell und wunderbar stark ist. Aber genau so direkt und kraftvoll wie Felix Van Groeningen diese Liebesgeschichte erzählt, erzählt er auch das Auseinanderbrechen der Liebe. Und er hat dabei keine Angst vor dem grossen Gefühlskino, vor den Schicksalsschlägen, die das Publikum wie ein Schlag in die Magengrube treffen.

Der Krebs der Tochter Maybelle ist auch der Krebs, der die Beziehung langsam tötet. Denn während Elise sich in einen diffusen Spiritualismus flüchtet, um mit dem grausamen Verlust fertig zu werden, richtet Didier seine ganze Wut auf die Religion, die seiner Meinung nach die Stammzellen-Forschung bremst und verhindert – und die letztendlich Schuld an seinem Drama ist.

Tattoos und Bluegrass

Und so ist «The Broken Circle» nicht nur ein wunderbarer Liebesfilm der grossen Gefühle, sondern auch eine Studie darüber, wie Menschen sich ganz furchtbar entfremden und verlieren können. Besonders kunstvoll ist dabei, dass Felix Van Groeningen den Film nicht chronologisch – erst die Liebe, dann die Tragik – erzählt. Er springt hin und her und scheint alles miteinander zu verweben: Liebe, Schmerz, Freude, Trauer.

Sein Film erinnert an die Tätowierungen, die Elise auf sich trägt, die ihr Leben zeigen und die sie auch immer mal wieder überschreibt und übermalt. Und er ist auch wie die Bluegrass-Musik, der sich Didier ganz verschrieben hat: manchmal unendlich schön und manchmal unendlich traurig. Man muss schon ganz abgebrüht sein, um das Kino nach «The Broken Circle» trockenen Auges zu verlassen.

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