Carlo Chatrian wechselt vom Filmfestival Locarno nach Berlin: Er wird künstlerischer Leiter der Berlinale. Chatrian tritt die Nachfolge von Festivaldirektor Dieter Kosslick zusammen mit der Niederländerin Mariette Rissenbeek an. Sie wird geschäftsführende Leiterin.
Filmredaktor Michael Sennhauser hat sich bereits im Vorfeld über die Wahl von Carlos Chatrian geäussert.
SRF: Was bedeutet die Wahl von Carlo Chatrian für die Berlinale?
Michael Sennhauser: Wohl eine sanfte Korrektur. In den letzten Jahren gab es einige Proteste gegen den bisherigen Berlinale-Leiter Dieter Kosslick. Man warf ihm vor, er sei mehr Manager und verstünde zu wenig vom Autorenkino.
Teilweise trifft dies auch zu: Kosslick ist international gut vernetzt und hat die Berlinale zu einem Riesenfestival gemacht. Aber er ist ein Filmmanager und Diplomat. Carlo Chartrian dagegen ist ein Cinephiler alter Schule: Einer, der die Cinematheken, die Filmgeschichte, das weltweite Autorenkino kennt.
Mit einem Mann, der das Autorenkino an erste Stelle stellt, vollzieht die Berlinale einen Kurswechsel. Das andere ist: Die Berlinale ist eines der letzten Festivals, das bloss einen Generaldirektor hat.
Die meisten Festivals unterscheiden zwischen künstlerischer und administrativer Leitung – auch Locarno, wo Chatrian künstlerischer Leiter ist. Nun wird es an der Berlinale eine Doppelleitung geben.
Was bedeutet der Weggang von Carlo Chatrian für das Filmfestival Locarno?
Locarno hat in den letzten Jahren immer wieder Direktorenwechsel gehabt. Die meisten sind zwei bis fünf Jahre geblieben – dann wurden sie abgeworben. Locarno muss nun wieder jemanden finden, der zum Profil des Festivals passt: Eine Person, die das weltweite Autorenkino kennt – aber ohne das internationale Profil, das man sich nicht leisten kann. Wahnsinnig viele Kandidaten gibt es da nicht.
Die Strategie bei Chatrian war, dass man jemanden aus den eigenen Kreisen aufbauen wollte. Das hat sich offenbar bewährt: Locarno hat Chatrian zu einer Marke gemacht – und umgekehrt.
Man kann also davon ausgehen, dass Locarno sich im Inland umsieht, dass möglicherweise eine Frau zum Zug kommt. Als mögliche Kandidatin sehe ich Seraina Rohrer, die Leiterin der Solothurner Filmtage.
Sie leitete ein paar Jahre das Pressebüro des Filmfestivals Locarno, spricht italienisch und kennt das Festival gut. Oder eben jemand aus den inneren Kreisen des Filmfestivals Locarno.
Nun war ja Carlo Chatrian eher ein diskreter Festivalleiter. Wie wird er sich in Berlin schlagen, auf diesem riesigen Parkett?
Das ist im Moment die grosse Frage. Möglicherweise überlässt er einen Teil des Parketts der Co-Leitung. Chatrian ist ein Netzwerker im Hintergrund, kein charismatischer Medienmann: Wenn er Auftritt, dann wirkt er spröde und zurückhaltend – er sucht das Rampenlicht nicht. Auch dies ist, mit Blick auf den Vorgänger Dieter Kosslick, eine Kurskorrektur.
Das Gespräch führte Patricia Moreno.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 22.6.2018, 16:30 Uhr.