Zum Inhalt springen

Von Locarno zur Berlinale «Mit Carlo Chatrian vollzieht die Berlinale einen Kurswechsel»

Nun ist es definitiv: Festivalleiter Carlo Chatrian verlässt das Filmfestival Locarno – und wird künstlerischer Leiter der Berlinale.

Carlo Chatrian wechselt vom Filmfestival Locarno nach Berlin: Er wird künstlerischer Leiter der Berlinale. Chatrian tritt die Nachfolge von Festivaldirektor Dieter Kosslick zusammen mit der Niederländerin Mariette Rissenbeek an. Sie wird geschäftsführende Leiterin.

Filmredaktor Michael Sennhauser hat sich bereits im Vorfeld über die Wahl von Carlos Chatrian geäussert.

Michael Sennhauser

Filmredaktor, SRF

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Michael Sennhauser ist Filmredaktor bei SRF. Er gewann für sein Schaffen den Greulich Kulturpreis 2016.

SRF: Was bedeutet die Wahl von Carlo Chatrian für die Berlinale?

Michael Sennhauser: Wohl eine sanfte Korrektur. In den letzten Jahren gab es einige Proteste gegen den bisherigen Berlinale-Leiter Dieter Kosslick. Man warf ihm vor, er sei mehr Manager und verstünde zu wenig vom Autorenkino.

Teilweise trifft dies auch zu: Kosslick ist international gut vernetzt und hat die Berlinale zu einem Riesenfestival gemacht. Aber er ist ein Filmmanager und Diplomat. Carlo Chartrian dagegen ist ein Cinephiler alter Schule: Einer, der die Cinematheken, die Filmgeschichte, das weltweite Autorenkino kennt.

Mit einem Mann, der das Autorenkino an erste Stelle stellt, vollzieht die Berlinale einen Kurswechsel. Das andere ist: Die Berlinale ist eines der letzten Festivals, das bloss einen Generaldirektor hat.

Die meisten Festivals unterscheiden zwischen künstlerischer und administrativer Leitung – auch Locarno, wo Chatrian künstlerischer Leiter ist. Nun wird es an der Berlinale eine Doppelleitung geben.

Chatrian und Rissnebeck stehen lächelnd nebeneinander.
Legende: Carlo Chatrian wird zusammen mit Mariette Rissenbeek die Leitung der Berlinale übernehmen. Keystone

Was bedeutet der Weggang von Carlo Chatrian für das Filmfestival Locarno?

Locarno hat in den letzten Jahren immer wieder Direktorenwechsel gehabt. Die meisten sind zwei bis fünf Jahre geblieben – dann wurden sie abgeworben. Locarno muss nun wieder jemanden finden, der zum Profil des Festivals passt: Eine Person, die das weltweite Autorenkino kennt – aber ohne das internationale Profil, das man sich nicht leisten kann. Wahnsinnig viele Kandidaten gibt es da nicht.

Die Strategie bei Chatrian war, dass man jemanden aus den eigenen Kreisen aufbauen wollte. Das hat sich offenbar bewährt: Locarno hat Chatrian zu einer Marke gemacht – und umgekehrt.

Das sagt man in Locarno

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: Keystone

Marco Solari, der Präsident des Filmfestivals Locarno, sagt zum Wechsel: «Wir gratulieren Carlo Chatrian für die glänzende Ernennung nach Berlin.» Man dankt Chatrian, ihm sei es gelungen, dem Festival weltweite Bekanntheit zu geben. Man beginne demnächst mit der Suche nach einem Nachfolger. Chatrian wird noch bis zum Ende der 71. Ausgabe im kommenden August in Locarno bleiben.

Man kann also davon ausgehen, dass Locarno sich im Inland umsieht, dass möglicherweise eine Frau zum Zug kommt. Als mögliche Kandidatin sehe ich Seraina Rohrer, die Leiterin der Solothurner Filmtage.

Sie leitete ein paar Jahre das Pressebüro des Filmfestivals Locarno, spricht italienisch und kennt das Festival gut. Oder eben jemand aus den inneren Kreisen des Filmfestivals Locarno.

Nun war ja Carlo Chatrian eher ein diskreter Festivalleiter. Wie wird er sich in Berlin schlagen, auf diesem riesigen Parkett?

Das ist im Moment die grosse Frage. Möglicherweise überlässt er einen Teil des Parketts der Co-Leitung. Chatrian ist ein Netzwerker im Hintergrund, kein charismatischer Medienmann: Wenn er Auftritt, dann wirkt er spröde und zurückhaltend – er sucht das Rampenlicht nicht. Auch dies ist, mit Blick auf den Vorgänger Dieter Kosslick, eine Kurskorrektur.

Das Gespräch führte Patricia Moreno.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 22.6.2018, 16:30 Uhr.

Meistgelesene Artikel