SRF: Im Fernsehen läuft «Drei Haselnüsse für Aschenbrödel», im Radio dudelt «Last Christmas»: Wie wichtig sind Rituale beim Medienkonsum zu Weihnachten?
Ute Holl: Scheinbar sind die Medien die zuverlässigsten Mittel, die Zeit zu strukturieren. Das Fernsehprogramm ist daher das einfachste Mittel, innerhalb der Familie eine Art von Synchronisierung der gemeinsamen Zeit herzustellen.
Interessant am Film «Drei Haselnüsse für Aschenbrödel» finde ich, dass er gar nicht von Weihnachten handelt. Es ist die Aschenbrödelgeschichte eines Mädchens, das aus einer nicht-heilen Familie kommt: Die Mutter existiert nicht, der Vater ist abwesend, es bleibt die bösartige Stiefmutter mit den bösartigen Töchtern.
Weshalb passt der Film doch zu Weihnachten?
Er erzählt eine märchenhaft verschobene Geschichte – angesichts derer ich mich frage, inwiefern die Weihnachtsgeschichte zu den Grundmythen unserer Kultur zu zählen ist. Denn in den Märchen spielt die Struktur des abwesenden, grossen, guten Vaters und der anwesenden, konkurrierenden Familie ebenso eine Rolle wie in der biblischen Geschichte.
Spannend an dem Film, einer Koproduktion der DDR und der Tschechoslowakei aus den 1970er-Jahren: dass in dieser Geschichte ausgerechnet die sich emanzipierende Frau die entscheidende Rolle spielt.
Es ist für mich ein gutes Signal, dass der Film immer wieder zu Weihnachten gespielt wird: die emanzipierte Frau, die in der Lage ist, zu jagen, zu schiessen, auf Bäume zu klettern, sich durchzusetzen – und dann erst den Prinzen zu gewinnen.
Aber ich würde behaupten, dass dieser Film den Eingang in den Weihnachtskanon nicht wegen der emanzipierten Frauenrolle geschafft hat. Sondern wegen dem Märchenhaften – dem Schnee, den schönen Kleidern.
Ich würde es ernst nehmen, dass so ein nonkonformistischer Film sich im Weihnachtskanon durchgesetzt hat und nicht einer diese vielen Filme, die ganz einfach von der heilen Familie ausgehen.
Um Weihnachten tauchen alle möglichen Filme auf, die sich um die Verteidigung eines heilen Innenraums drehen – oder auch um eine Liebe, die sich über die Konventionen hinaus etabliert. Ich glaube, die Populärkultur weiss insofern mehr als man denkt von Streit, von Stress, von den Dingen, die in der Familie verhandelt werden müssen, gegen alle Wahrscheinlichkeiten.
Weihnachtsfilme sind nicht einfach Illustrationen einer heilen Weihnachtswelt. Vielmehr machen genau die Momente, in denen Zwist als produktiv vorgespielt wird, das Weihnachtliche aus.
Es gibt auch Leute, die behaupten, der Action-Thriller «Die Hard» mit Bruce Willis sei der einzige Weihnachtsfilm – und der wird dann jedes Jahr angeschaut. Ist das nur ein Witz?
Ich finde es ganz wichtig, dass das eben nicht nur ein Witz ist. Der Film spielt an Weihnachten, mit so einem Kerl, gespielt von Bruce Willis, der mit einem riesengrossen Teddybär im Arm im Flugzeug ankommt. Man hat schon diese ganze Ambivalenz am Anfang: einerseits der harte Typ, auf der anderen Seite die Kinder, Weihnachten, die heile Familie.
Natürlich stellt sich sofort raus, diese Familie ist nicht heil – aus dem einfachen Grund, dass dieser New Yorker Bulle es nicht akzeptieren kann, dass seine Frau eine eigene Karriere macht. Wieder zu Weihnachten ein Film, der auf die Autonomie der Frauen verweist: spannend …
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Bruce Willis muss durch viele Stationen eines terroristischen Angriffs gehen, um sich in den Augen seiner Frau zu rehabilitieren. Erst dann können sie beide nachhause gehen, wo die Kinder schon warten.
Das ist eine interessante Wendung, dass man die Familie nicht einfach hat, sondern gewinnen muss. Das ist im Film «Die Hard», Mitte der 1980er-Jahre, gegen die Vorstellung einer natürlich heilen Familie gesetzt.
Das Gespräch führte Brigitte Häring.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 22.12.2016, 9:02 Uhr