Erinnern Sie sich an den Boxer-Film «Rocky»? An die Szene, in der Sylvester Stallone die riesige Treppe zum Rathaus in Philadelphia hinauf rennt, dicht gefolgt von einer Kamera, die zu schweben scheint? Das war 1976 und der erste Einsatz der sogenannten Steadicam – der Kamera auf dem Schwebestativ. Erfunden hat sie Garrett Brown und er hat damit die ganze Filmästhetik verändert.
Weg vom Dolly
Zu Beginn der 70er-Jahre war Garrett Brown selbständiger Kameramann mit einer Ausrüstung, welche ihm nicht wirklich passte. Hollywood wollte elegante Kamerabewegungen. Dazu setzte man die Kamera auf einen Schienen-Wagen, das sogenannte Dolly, oder man bewegte sie an einem grossen, teuren Kran – für einen selbstständigen Kameramann eine unbezahlbare und schwerfällige Ausrüstung.
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«So machte man das damals, um die Kamera zu bewegen. Ich war weit weg von Hollywood, aber irgendwie wollte ich die Kamera vom Dolly lösen und die Bewegungen des Kameramanns von der Kamera», erzählt Garrett Brown, der diesen August am Filmfestival Locarno mit dem «Vision award» ausgezeichnet wurde.
Das kann die Steadicam
Brown begann zu tüfteln. Er wolle eine tragbare Kamera, welche sich geschmeidig und flüssig bewegen lässt, auch wenn die Bewegungen des Kameramannes naturgemäss ruckartig und abrupt ausfallen. Brown entwickelte daraufhin eine Kamera, die im Wesentlichen aus den drei folgenden Elementen besteht:
- Gegengewichte zur Kamera, welche dafür sorgen, dass schnelle horizontale Bewegungen des Kameramannes dank der Trägheit in langsame, fliessende Bewegungen abgebremst werden.
- Ein federgedämpfter Scherenarm, der das gleiche für Auf- und Abwärtsbewegungen leistet.
- Eine Körperweste, welche das grosse Gewicht des ganzen Apparates von den Armen des Kameramannes auf Schultern und Wirbelsäule verlagert.
Das Unmögliche wird möglich
Garrett Brown erreichte, was er wollte: Er hatte nun eine Kamera, welche seine menschlichen, ruckartigen Bewegungen mit träger Eleganz in flüssig schwebende Kurven umsetzt. «Es war eine Art Slow Motion Revolution für mich, die immer noch andauert», sagt er heute.
Plötzlich wurden Kombinationen von Kurven möglich, die auf Schienen mit dem Dolly nie zu machen wären. «Kann ich damit rennen? Treppen steigen?», fragte er sich.
Garrett Brown und seine Frau seien daraufhin zwei Tage lang in Philadelphia umher gelaufen und haben 30 bis dahin unmögliche Einstellungen gefilmt. «Und diese Einstellung sah John G. Avildsen, der spätere Regisseur von ‹Rocky›, der seinen Assistenten im Hintergrund erkannte. Er fand uns und wollte wissen, wie wir das gemacht hätten, und wo diese Treppe sei», erzählt Garrett Brown.
Legendäre Szenen
Das professionelle Staunen und der Vorab-Ruf, den diese Steadicam-Shots dem Film einbrachten, halfen mit, dass «Rocky» im Frühjahr darauf mit dem Oscar als bester Film ausgezeichnet wurde. Und schon zwei Jahre später bekam auch Garrett Brown für seine Erfindung den Technik-Oscar.
Legendär ist auch die «Star Wars»-Sequenz mit den durch den Wald von Endor rasenden Speederbikes oder die Sequenz aus Stanley Kubricks Horrorfilm «The Shining». Im Schnee zwischen den hohen Hecken hätte man weder auf Schienen noch mit einem Kran drehen können. Garrett Brown aber konnte mit der Steadicam vorwärts und rückwärts durch das Labyrinth gehen und dabei in die Fussspuren von Nicholson oder dem Jungen treten, ohne eigene zu hinterlassen (Video).
Im Werwolf Film «Wolfen» von 1981 simulierte Garrett Brown den subjektiven Blick der Wölfe indem er mit der Kamera dicht über den Boden hinweg glitt. Die Aufnahmen sind legendärer geworden als der kleine Horrorfilm, dem sie dienten.
Tüftelt an einer neuen Erfindung
Garrett Brown beliess es aber nicht bei der Steadicam. Er kann auf eine ansehnliche Liste von Erfindungen oder Weiterentwicklungen zurückblicken: Die Flycam für Fussballspiele ist eine oder die Divecam für durchgehende Aufnahmen von Turmspringern zum Beispiel.
Auch mit 74 Jahren denkt Garrett Brown nicht daran aufzuhören. Er sei, völlig ausserhalb vom Filmbusiness, daran, den Steadicam-Mechanismus als Hilfsgerät für alte Menschen weiterzuentwickeln. Sein Traum wäre es, wenn alte Menschen durch seine Hilfe wieder Treppen steigen könnten.