Die zweifach oscarprämierte Schauspielerin Glenda Jackson sagte einst treffend über den britischen Filmemacher: «Ken Russell hat Barrieren durchbrochen und Zauber auf die Leinwand gebracht».
Am 3. Juli wäre der Regisseur 90 Jahre alt geworden. Ein Rückblick auf seine Karriere mit neun Fakten:
1. Der Frauen-Fotograf
Als Bildkünstler fiel Russell zum ersten Mal 1955 auf: mit der Fotoserie «The Last of the Teddy Girls». Dass es ein weibliches Gegenstück zur bekannten Jugend-Subkultur der Teddy Boys gibt, war damals neu.
Die jungen Frauen posieren auf Russells Bildern vor Londons Ruinen des Zweiten Weltkriegs – in Kleidern der Jahrhundertwende. In dieser verfremdeten Form hatte man die Teddy-Bewegung noch nie gesehen.
2. Der Dokfilm-Innovator
In den frühen 1960er-Jahren waren TV-Dokus starr und konventionell. Eine historische Figur von einem Schauspieler darstellen zu lassen, war streng verboten. Russell brach diese fixe Regel und damit ein Tabu.
So liess er den Komponisten Elgar beispielsweise von einem Kind spielen, das auf einem Pferd durch die englische Landschaft reitet. Oder von der Hand eines Mannes, der gerade ein Stück komponiert. Russells «Elgar» wurde von den Zuschauern der BBC zur besten Fernsehsendung der 1960er-Jahre gewählt und machte den vergessenen Komponisten wieder populär.
3. Der Musikbesessene
Ken Russell entdeckte seine Leidenschaft für Musik bereits in jungen Jahren. Damals litt er an Depressionen und lag wochenlang auf dem Sofa seiner Mutter. Eines Tages stellte sie ihm klassische Musik im Radio ein.
Russell erzählte später von «einer unbeschreiblichen Art von Schönheit», die ihm durchs Hören bewusst worden sei. Die Musik war Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1. Er kaufte die LP und begann täglich dazu zu tanzen. Die Depression war geheilt.
Später schuf er dem Stück mit dem Tschaikowsky-Film «The Music Lovers» (1970) ein Denkmal. Russells Liebe zur Musik kommt aber auch in den Filmen über die Komponisten Debussy, Mahler und Liszt zum Vorschein.
4. Der um seinen Glauben Ringende
Über seine Sinnsuche sagte Russell einmal: «Ich wusste lange nicht, wohin ich gehe. Erst als ich den katholischen Glauben annahm, haben meine Arbeit und Philosophie eine Richtung gefunden. In all meinen Filmen geht es um Liebe, Sünde, Vergebung, Erlösung. Nur ein Katholik kann diese Themen so behandeln.»
Später wandte sich Russell jedoch wieder vom Glauben ab. Mit «The Devils» verflüchtigte sich seine Faszination für die katholische Mystik.
5. Der Ungekrönte
Russells Filmadaption vom D. H. Lawrences Roman «Women in Love» (1969) erhielt vier Oscar-Nominierungen und gilt weithin als einer der besten britischen Filme der 1960er-Jahre.
Dummerweise musste Russell bei den Oscars gegen Federico Fellini und Robert Altman antreten. Der grosse Gewinner des Abends war dann aber schliesslich Franklin Schaffners Kriegsdrama «Patton».
Ken Russells «Women in Love» musste sich mit einem Oscar für Hauptdarstellerin Glenda Jackson begnügen.
6. Der Wiederholungstäter
Never change a winning team! Mit Glenda Jackson hat Ken Russell nach «Women in Love» fünf weitere Filme gedreht. Den letzten im Jahr 1992: «The Secret Life of Arnold Bax» war Jacksons letzter Film als Schauspielerin. Danach machte sie als Politikerin Karriere, indem sie für die Labour Party ins britische Unterhaus einzog.
7. Der Opern-Regisseur
Begonnen mit «The Rake’s Progress» (1982), hat Ken Russell insgesamt zehn Opern inszeniert. Auch als Theatermacher löste er viele Kontroversen aus. Zum Beispiel, indem er die Handlung von Puccinis «Madame Butterfly» zeitlich verschob. Bei Russell spielt das Geschehen in einem japanischen Bordell anno 1945, während die amerikanischen Atombomben einschlagen. Für viele Kritiker ein Skandal.
8. Der Provokateur
Einer von Russells Filmen ist bis heute verboten: Seine BBC-Doku «The Dance of Seven Veils» über Richard Strauss, die den Komponisten als überzeugten Nazi darstellt. Strauss' Erben fanden das unerhört und liessen den Film verbieten.
Nichtsdestotrotz bleibt Strauss historisch eine kontroverse Figur: Als ihn Goebbels zum Reichsmusikkammer-Präsidenten ernannte, akzeptierte er das Amt. Und Thomas Mann verunglimpfte ihn einst gar als «hitlerischen Komponisten».
9. Der Tiefstpreis-Filmer
In den 90er Jahren hatte Russell mehr und mehr Schwierigkeiten, seine Filme zu finanzieren. Aus diesem Grund realisierte er zunehmend Low-Budget-Produktionen und Underground-Filme.
Seine Adaption von Edgar Allen Poes «The Fall of the Louse of Usher» drehte er beispielsweise in den eigenen vier Wänden – mit Freunden, Familie und Dutzenden handgemachten Requisiten.
Die Villa des Regisseurs, der 2011 im Alter von 84 Jahren starb, wurde später ein Opfer der Flammen. Ganz anders sieht es mit Russells besten Filmen aus: Sie werden als Meilensteine des britischen Kinos noch lange weiter bestehen.