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40 Jahre «Tetris» Die irre Geschichte dieses Kultgames ist noch lange nicht zu Ende

Vor 40 Jahren eroberte ein sowjetisches Game via Japan die Welt. Bis heute jagt eine neue Generation von Spielern unglaubliche Rekorde.

Erfunden hat «Tetris» ein russischer Programmierer namens Alexei Paschitnow. Vor 40 Jahren, am 6. Juni 1984, lief das Spiel zum ersten Mal auf seinem «Elektronika 60», einem frühen sowjetischen Rechner.

Alexei, ein Mann mit weissen Haaren und Bart winkt lächelnd von einer Bühne
Legende: Alexei Paschitnow programmierte «Tetris», während er an Programmen zur Spracherkennung und künstlichen Intelligenz arbeitete. IMAGO / CTK Photo / SRF

Die Idee dazu gab ihm ein Spiel aus seiner Kindheit: Beim Puzzlespiel «Pentomino» geht es darum, aus jeweils fünf Quadraten geformte Steine in einem Rechteck anzuordnen. Bei «Tetris» bestehen die Steine aus je vier Quadraten – daher der Name, der vom griechischen Wort «Tetra» für die Vier abgeleitet wurde.

Wie funktioniert «Tetris»?

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Von oben fallen verschieden geformte Figuren auf den Bildschirm. Während des Falls kann man die Figuren schieben und drehen.

Das Ziel: Die Figuren so anordnen, dass sich eine Zeile füllt. Dann verschwindet die Zeile und es gibt Punkte. Schafft man es, mehrere Zeilen gleichzeitig zum Verschwinden zu bringen, am besten sogar vier zugleich (das nennt man ein «Tetris»), bekommt man Extrapunkte.

Schafft man es nicht, die Steine sauber zu ordnen, beginnen sich die Figuren immer höher zu stapeln. Erreicht der Stapel den oberen Bildschirmrand, hat man verloren.

Lust auf «Tetris» bekommen? Gratis ausprobieren kann man es zum Beispiel bei Geolino oder auf Tetris.com .

Paschitnows Mitarbeiter an der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften liebten das Spiel, das als Hobbyprojekt entstanden war. Im Sommer 1985 verliess «Tetris» dank einer Version für den IBM-PC die Räume der Akademie und verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Osteuropa.

«Tetris» erobert die Welt

Die westliche Welt kam erst vier Jahre später in den Genuss von «Tetris». Wie es dazu kam, ist ein wahrer Wirtschaftskrimi, der sich im Spannungsfeld zwischen dem kommunistischen Osten und dem kapitalistischen Westen abspielt. Letztes Jahr erzählte ein Spielfilm von Regisseur Jon S. Baird diese Geschichte nach.

Diese verlief kurz zusammengefasst so: Über einen findigen Geschäftsmann in Ungarn, eine britische Firma und eine japanische Unterhaltungsmesse gelangte das Spiel zum Gaming-Riesen Nintendo. Der legte das Spiel gratis seinen beiden neuen Konsolen bei: dem Gameboy und dem NES (Nintendo Entertainment System).

Ganz verschieden und doch immer gleich

Von da gab es keinen Halt mehr: Das Spiel wurde bis heute über 425 Millionen Mal verkauft. Für praktisch jedes Gerät mit Bildschirm gibt es eine Variante von «Tetris» – vom Taschenrechner bis zum Oszilloskop.

Das Erfolgsrezept

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Was macht «Tetris» auf der ganzen Welt bis heute beliebt? Der Erfolg lässt sich auf drei Grundprinzipien zurückführen:

  1. Simpel: Man braucht kaum Erklärung, um «Tetris» zu spielen. Auch ein Kind kann direkt loslegen.
  2. Herausfordernd: Gleichzeitig ist das Spiel nach oben offen. Man kann immer noch besser werden, noch ein Level weiterkommen, noch mehr Punkte holen. Das Spiel lässt sich immer und immer wieder spielen, man ist nie fertig.
  3. Fesselnd: Nicht zuletzt ist das Spiel ein Paradebeispiel für den «Flow-State», für einen tranceähnlichen Zustand, den man beim Spielen erreichen kann – wer noch nie gespielt hat, kennt das vielleicht vom Autofahren. Es ist ein Zustand, der alle Aufmerksamkeit erfordert, ohne anstrengend zu sein. Er bietet zugleich Spannung und Entspannung, zieht einen in seinen Bann und lässt die Zeit und die Welt um einen herum vergessen.

Anfang der 90er-Jahre sprach man sogar vom «Tetris»-Effekt: Fans träumten nachts von herunterfallenden Blöcken und sahen auch tagsüber überall zu füllende Lücken. Noch heute ist der «Tetris»-Effekt ein Begriff in der Psychologie.

Die Wettkampf-Szene

Rund um das Spiel gibt es Wettkämpfe und Turniere. Typischerweise wird dabei das klassische «Tetris» von 1989 auf dem NES gespielt. Zwei treten gegeneinander an; wer mehr Punkte in einer Runde erzielt, gewinnt den Match. Wer zuerst drei Matches gewinnt, holt den Sieg.

Auf Wettkampfniveau wird das Spiel sehr taktisch gespielt: Es geht darum, möglichst hoch zu bauen und am Rand eine Lücke zu lassen für den geraden Balken. Nur so kann man vier Reihen gleichzeitig abbauen und seine Punkte maximieren.

Beim Bauen gilt es darauf zu achten, für jede mögliche Figur, die als nächste kommen könnte, einen Platz bereitzuhalten. Man muss blitzschnell entscheiden, ob man auf Risiko geht und die Wand immer höher baut, während man auf den nächsten Balken wartet, oder ob man lieber zwischendurch eine Linie «verbrennt».

Seit 2010 gibt es eine jährliche «Tetris»-Weltmeisterschaft. Die meisten anderen Turniere werden online ausgetragen, doch die WM findet vor Ort statt: Dieses Jahr treffen sich die «Tetris»-Fans am 7. und 8. Juni in Kalifornien. Übertragen wird die WM via Twitch und Youtube .

Gen-Z revolutioniert das Spiel

Die Spieler, die die «Tetris»-Weltmeisterschaft 2010 ins Leben gerufen hatten, optimierten das Spiel minutiös. Der Fokus lag darauf, innerhalb der ersten 29 Levels möglichst sauber zu spielen – denn danach wird das Spiel so schnell, dass man sowieso sofort verliert. Das dachte man zumindest – bis eine neue Generation von Spielern die alten Gewissheiten über den Haufen warf.

2018 betrat ein 16-jähriger Neuling namens Joseph Saelee die Bühne: Er gewann nicht nur auf Anhieb den Weltmeistertitel, er spielte auch als einer der ersten bis Level 32 – später sogar bis Level 35. Wie war das möglich?

Saelee spielte ganz anders als die alten Hasen: Er verwendete eine Taktik namens «Hypertapping», die er von einem anderen Spieler im Internet gelernt hatte. Statt die Taste seines Game-Controllers normal zu drücken, spannt er seinen Arm so an, dass seine Hand vibriert. So kann er die Taste über 10-mal pro Sekunde drücken und die Figuren im Spiel viel schneller bewegen, als es zuvor möglich war.

Saelees Sieg revolutionierte nicht nur die Art, wie «Tetris» gespielt wird. Er brachte mit seinem spektakulären Erfolg das Spiel via Youtube zu einem jungen Publikum. Vor Saelee waren die Teilnehmer an der Weltmeisterschaft im Schnitt über 30 Jahre alt, an der Meisterschaft 2020 waren die besten Spieler im Schnitt 17.

Ein 13-Jähriger besiegt «Tetris»

Auch Wills Gibson aus Oklahoma, bekannt in der Szene als « Blue Scuti », wurde von Saelee inspiriert. Mit 13 Jahren gelang Gibson im Dezember 2023, was noch kein Mensch vor ihm geschafft hatte: Er besiegte «Tetris».

Genauer gesagt brachte er das Game auf Level 157 zum Absturz. Da selbst die Macher nicht gedacht hatten, dass es jemals jemand weiter als Level 30 schafft, spielt das Spiel irgendwann verrückt: Die Farben beginnen sich zu verändern, die Punktzahl springt wild umher. Und irgendwann, frühestens bei Level 155, stürzt das Spiel ab – «Tetris» ist «fertig» gespielt.

Eben erst galt das Erreichen von Level 35 noch als kleine Revolution – wie schafft es Gibson nun bis zu Level 157? Die junge Generation hatte eine weitere Technik erfunden und damit «Hypertapping» überholt.

Die neue Technik heisst «Rolling»: Der Daumen der einen Hand berührt nur leicht den Knopf auf der Vorderseite des Game-Controllers, während die andere Hand den Controller an den Daumen drückt, indem sie auf die Rückseite des Controllers trommelt. Damit man beide Hände einsetzen kann, klemmt man sich den Controller zwischen die Beine oder nutzt die Füsse – voller Körpereinsatz ist gefragt.

Damit hat die neue Generation die physischen Grenzen von «Tetris» gesprengt. Auch an seinem 40. Geburtstag ist das Game also noch immer hoch im Kurs. Die Szene ist aktiver denn je und versucht, auch den letzten Meilenstein zu erreichen: Bei Level 255 gibt es nämlich einen «Reset», bei dem das Spiel von vorne startet.

«Tetris» in der Schweiz

Auch in der Schweiz gibt es eine kleine «Tetris»-Szene. Mit den Topspielern aus den USA können sich ihre Mitglieder nicht messen, doch sie sind in Europa gut vernetzt und vertreten die Schweiz regelmässig an Turnieren.

Im Gegensatz zu anderen Gaming-Szenen zeichnet sich die «Tetris»-Community dadurch aus, dass sie sehr «gmögig» ist. Es gibt hier keine Profispieler, die den ganzen Tag trainieren, das Spiel bleibt ein Hobby. Man kennt und unterstützt einander – gewinnt der Gegner, freut man sich trotzdem. Der wahre Gegner bleibt sowieso der unbarmherzige Zufallsgenerator.

3 Fragen an einen Schweizer «Tetris»-Meister

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Ein junger Mann lacht in die Kamera, in den Armen 3D-Modelle der Tetris-Steine
Legende: ZVG

Anton Brucherseifer ist einer der besten «Tetris»-Spieler der Schweiz. Der 28-jährige Softwareentwickler aus Zürich nimmt regelmässig an NES- und Gameboy-Turnieren teil und organisiert auch selbst Events.

SRF: Wie bist du zu «Tetris» gekommen?

Anton Brucherseifer: Ich habe auf YouTube Videos von der Weltmeisterschaft gesehen und gedacht: «Wow, wie gut die sind! Wieso macht es so viel Spass, da zuzuschauen?»

Was fasziniert dich am Spiel?

Andere Spiele werden irgendwann langweilig. Bei «Tetris» ist es umgekehrt: Je mehr du spielst, je mehr du darüber weisst, desto interessanter wird es.

Wie gross ist die Schweizer «Tetris»-Szene?

Es gibt vielleicht etwa 10 Leute, die seriös «Tetris» spielen. In ganz Europa sind es aber viel mehr: Es gibt eine Europameisterschaft, eine deutsche Meisterschaft, im Vereinigten Königreich gibt es Turniere, Polen und Finnland haben eine grosse Community. So lernt man Leute aus der ganzen Welt kennen.

Radio SRF 3, 5.6.2024, 8:15 Uhr;kesm

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