Erfunden hat «Tetris» ein russischer Programmierer namens Alexei Paschitnow. Vor 40 Jahren, am 6. Juni 1984, lief das Spiel zum ersten Mal auf seinem «Elektronika 60», einem frühen sowjetischen Rechner.
Die Idee dazu gab ihm ein Spiel aus seiner Kindheit: Beim Puzzlespiel «Pentomino» geht es darum, aus jeweils fünf Quadraten geformte Steine in einem Rechteck anzuordnen. Bei «Tetris» bestehen die Steine aus je vier Quadraten – daher der Name, der vom griechischen Wort «Tetra» für die Vier abgeleitet wurde.
Paschitnows Mitarbeiter an der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften liebten das Spiel, das als Hobbyprojekt entstanden war. Im Sommer 1985 verliess «Tetris» dank einer Version für den IBM-PC die Räume der Akademie und verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Osteuropa.
«Tetris» erobert die Welt
Die westliche Welt kam erst vier Jahre später in den Genuss von «Tetris». Wie es dazu kam, ist ein wahrer Wirtschaftskrimi, der sich im Spannungsfeld zwischen dem kommunistischen Osten und dem kapitalistischen Westen abspielt. Letztes Jahr erzählte ein Spielfilm von Regisseur Jon S. Baird diese Geschichte nach.
Diese verlief kurz zusammengefasst so: Über einen findigen Geschäftsmann in Ungarn, eine britische Firma und eine japanische Unterhaltungsmesse gelangte das Spiel zum Gaming-Riesen Nintendo. Der legte das Spiel gratis seinen beiden neuen Konsolen bei: dem Gameboy und dem NES (Nintendo Entertainment System).
Von da gab es keinen Halt mehr: Das Spiel wurde bis heute über 425 Millionen Mal verkauft. Für praktisch jedes Gerät mit Bildschirm gibt es eine Variante von «Tetris» – vom Taschenrechner bis zum Oszilloskop.
Anfang der 90er-Jahre sprach man sogar vom «Tetris»-Effekt: Fans träumten nachts von herunterfallenden Blöcken und sahen auch tagsüber überall zu füllende Lücken. Noch heute ist der «Tetris»-Effekt ein Begriff in der Psychologie.
Die Wettkampf-Szene
Rund um das Spiel gibt es Wettkämpfe und Turniere. Typischerweise wird dabei das klassische «Tetris» von 1989 auf dem NES gespielt. Zwei treten gegeneinander an; wer mehr Punkte in einer Runde erzielt, gewinnt den Match. Wer zuerst drei Matches gewinnt, holt den Sieg.
Auf Wettkampfniveau wird das Spiel sehr taktisch gespielt: Es geht darum, möglichst hoch zu bauen und am Rand eine Lücke zu lassen für den geraden Balken. Nur so kann man vier Reihen gleichzeitig abbauen und seine Punkte maximieren.
Beim Bauen gilt es darauf zu achten, für jede mögliche Figur, die als nächste kommen könnte, einen Platz bereitzuhalten. Man muss blitzschnell entscheiden, ob man auf Risiko geht und die Wand immer höher baut, während man auf den nächsten Balken wartet, oder ob man lieber zwischendurch eine Linie «verbrennt».
Seit 2010 gibt es eine jährliche «Tetris»-Weltmeisterschaft. Die meisten anderen Turniere werden online ausgetragen, doch die WM findet vor Ort statt: Dieses Jahr treffen sich die «Tetris»-Fans am 7. und 8. Juni in Kalifornien. Übertragen wird die WM via Twitch und Youtube.
Gen-Z revolutioniert das Spiel
Die Spieler, die die «Tetris»-Weltmeisterschaft 2010 ins Leben gerufen hatten, optimierten das Spiel minutiös. Der Fokus lag darauf, innerhalb der ersten 29 Levels möglichst sauber zu spielen – denn danach wird das Spiel so schnell, dass man sowieso sofort verliert. Das dachte man zumindest – bis eine neue Generation von Spielern die alten Gewissheiten über den Haufen warf.
2018 betrat ein 16-jähriger Neuling namens Joseph Saelee die Bühne: Er gewann nicht nur auf Anhieb den Weltmeistertitel, er spielte auch als einer der ersten bis Level 32 – später sogar bis Level 35. Wie war das möglich?
Saelee spielte ganz anders als die alten Hasen: Er verwendete eine Taktik namens «Hypertapping», die er von einem anderen Spieler im Internet gelernt hatte. Statt die Taste seines Game-Controllers normal zu drücken, spannt er seinen Arm so an, dass seine Hand vibriert. So kann er die Taste über 10-mal pro Sekunde drücken und die Figuren im Spiel viel schneller bewegen, als es zuvor möglich war.
Saelees Sieg revolutionierte nicht nur die Art, wie «Tetris» gespielt wird. Er brachte mit seinem spektakulären Erfolg das Spiel via Youtube zu einem jungen Publikum. Vor Saelee waren die Teilnehmer an der Weltmeisterschaft im Schnitt über 30 Jahre alt, an der Meisterschaft 2020 waren die besten Spieler im Schnitt 17.
Ein 13-Jähriger besiegt «Tetris»
Auch Wills Gibson aus Oklahoma, bekannt in der Szene als «Blue Scuti», wurde von Saelee inspiriert. Mit 13 Jahren gelang Gibson im Dezember 2023, was noch kein Mensch vor ihm geschafft hatte: Er besiegte «Tetris».
Genauer gesagt brachte er das Game auf Level 157 zum Absturz. Da selbst die Macher nicht gedacht hatten, dass es jemals jemand weiter als Level 30 schafft, spielt das Spiel irgendwann verrückt: Die Farben beginnen sich zu verändern, die Punktzahl springt wild umher. Und irgendwann, frühestens bei Level 155, stürzt das Spiel ab – «Tetris» ist «fertig» gespielt.
Eben erst galt das Erreichen von Level 35 noch als kleine Revolution – wie schafft es Gibson nun bis zu Level 157? Die junge Generation hatte eine weitere Technik erfunden und damit «Hypertapping» überholt.
Die neue Technik heisst «Rolling»: Der Daumen der einen Hand berührt nur leicht den Knopf auf der Vorderseite des Game-Controllers, während die andere Hand den Controller an den Daumen drückt, indem sie auf die Rückseite des Controllers trommelt. Damit man beide Hände einsetzen kann, klemmt man sich den Controller zwischen die Beine oder nutzt die Füsse – voller Körpereinsatz ist gefragt.
Damit hat die neue Generation die physischen Grenzen von «Tetris» gesprengt. Auch an seinem 40. Geburtstag ist das Game also noch immer hoch im Kurs. Die Szene ist aktiver denn je und versucht, auch den letzten Meilenstein zu erreichen: Bei Level 255 gibt es nämlich einen «Reset», bei dem das Spiel von vorne startet.
«Tetris» in der Schweiz
Auch in der Schweiz gibt es eine kleine «Tetris»-Szene. Mit den Topspielern aus den USA können sich ihre Mitglieder nicht messen, doch sie sind in Europa gut vernetzt und vertreten die Schweiz regelmässig an Turnieren.
Im Gegensatz zu anderen Gaming-Szenen zeichnet sich die «Tetris»-Community dadurch aus, dass sie sehr «gmögig» ist. Es gibt hier keine Profispieler, die den ganzen Tag trainieren, das Spiel bleibt ein Hobby. Man kennt und unterstützt einander – gewinnt der Gegner, freut man sich trotzdem. Der wahre Gegner bleibt sowieso der unbarmherzige Zufallsgenerator.