Die Mechanik
Wir erleben die Biografie des Mädchens Sarah, durch Briefe und später Chats, die sie mit Freundinnen austauscht. Wir lesen diese Texte aber nicht wie sonst in Games, indem wir einen Knopf für «Weiter» drücken. Sondern wir machen neuen Text zugänglich, indem wir im bereits sichtbaren Text nach Wörtern suchen, die kleine Rätsel lösen.
Wir bewegen eine kleine Sarah im Text herum; Zeichnungen in den Briefen versperren den Weg, zum Beispiel ein Vogel mit nur einem Flügel. Finden wir nun das in «drawing» das Wort «wing», heben wir es auf, bringen es zum Vogel, der seinen zweiten Flügel erhält, davonfliegt und den Weg im Brief freimacht.
Wir spielen also ganz im wörtlichen Sinn mit den Worten und zwischen den Zeilen – eine Mechanik, die ich so noch nie gespielt habe.
Durch den Brief oder Chat zu hüpfen, um zu den gewünschten Wörtern zu gelangen, ist manchmal etwas zäh – doch dieses Problemchen ist klein. Dem oben erwähnten Vogel können wir auch «blue» oder «green» anwerfen und so die Farbe seiner Federn ändern – was zum Experimentieren anregt.
Das Team
5am Games ist ein reines Frauen-Team. Auch das ist an «Letters» speziell. Im Game-Design-Lehrgang der Zürcher Hochschule der Künste (den die Gründerinnen absolviert haben) gibt es zwar schon seit Jahren ein sehr ausgeglichenes Geschlechterverhältnis und entsprechend viele gemischte Teams – in der kleinen Schweizer Game-Design-Szene sind Frauen allgemein gut vertreten. Doch wenn man die Teams dann genauer anschaut, fallen häufig dennoch klassische Rollenbilder auf: Er programmiert, sie zeichnet oder schreibt. Bei «Letters» ist das nicht so.
Die Geschichte
«Letters» erzählt die Biografie von Sarah, die wir als Mädchen kennenlernen und der wir über ihre Briefe beim Aufwachsen zusehen. Wir erfahren von Reisen, Berufswünschen und ersten Beziehungen. Der Tonfall ist locker, oft verspielt, keine Gelegenheit eines Wortspiels wird ausgelassen.
Entsprechend überrascht, dass sich das Game zutraut, die Scheidung der Eltern, das schwierige Verhältnis zur Schwester und einen emotional unzugänglichen Vater anzusprechen. 5am Games will authentische Protagonistinnen zeichnen, was «Letters» gelingt.
So hat mich das Game nicht nur mit Mechanik überrascht und drolligen Wortspielen erfreut («Sorry for being cheesy!» – «You’re Swiss, you're allowed to be cheesy.»), sondern auch mit Tiefgang berührt.
«Letters» ist für PC und in Englisch.