«Social Virtual Reality» – ein Schlagwort, das seit ein paar Jahren auftaucht, wenn es um Treffen mit Freunden oder Unbekannten in der Virtuellen Realität geht. Seit Virtual-Reality-Brillen im Massenmarkt angekommen sind, gibt es verschiedene solcher Angebote: Plattformen mit Namen wie «AltspaceVR», «VR Chat» oder «Rec Room» zum Beispiel.
Wer hat das Toilettenpapier geklaut?!
In Zeiten von Corona, wo Treffen mit Freunden in der echten Welt schwer geworden sind, müssten diese Orte doch eigentlich regen Zulauf haben – dachte ich mir und machte als erstes bei «Rec Room» Halt. Ich wählte einen sehr coolen Benutzernamen («Jaydawg3000») und bastelte meinen Avatar – die Computerfigur, als die mich die anderen Benutzer sehen (halblange Haare, grüner Bart, gelbe Augen).
Der titelgebenden «Rec Room» ist eine Art Lobby mit Informationszentrum, Snackbar und Basketball-Korb. Dort traf ich auf das reine Chaos: Eine Horde Kinder – so liess jedenfalls das Benehmen der Avatare vermuten – machte den Ort unsicher. Sie tranken virtuelles Gesöff direkt aus der Flasche, pöbelten mich an, drohten mit Suizid und wollten immer wieder wissen, wer das Toilettenpapier geklaut habe.
In Zeiten, da es in der richtigen Welt schon genug Probleme mit Toilettenpapier gibt, war mir das zu viel. Darum wich ich rasch in eines der vielen Spielzimmer aus, in denen man sich mit anderen zum gemeinsamen Gamen trifft. Doch auch beim Paintball machten mir wild gewordene Kinder das Leben schwer. Ausserdem wurde mir unter der VR-Brille (einer «Oculus Quest») schnell einmal so schlecht, dass ich mich für den Rest des Abends hinlegen musste.
Cringe am virtuellen Lagerfeuer
Am nächsten Tag zog ich mit immer noch flauem Magen weiter zu «AltspaceVR». Mit sieben Jahren ist das eine der ältesten Social-VR-Plattformen, seit 2017 gehört sie zu Microsoft. Auch hier gilt: Von einer Lobby aus geht es weiter in Dutzende von anderen Räumen, wo man mit anderen spielen kann, gemeinsam Filme schauen, Standup-Comedy-Clubs besuchen oder Konferenzen abhalten.
Ich wählte das virtuelle Lagerfeuer – in der Hoffnung, dort auf andere einsame Gestalten zu treffen, die in Zeiten von Corona nach neuen Freunden und tiefschürfenden Gesprächen suchen. Tatsächlich standen in der virtuellen Landschaft etwas verloren vier oder fünf Avatare herum. Doch das mit den tiefschürfenden Gesprächen wollte nicht so recht klappen:
Fremder Avatar: «Hello.»
Ich: «Hello.»
Fremder Avatar: «Where are you from?»
Ich: «Switzerland.»
Fremder Avatar: «Oh. What time is it in Switzerland?»
Ich: «Umh… about one o’clock?»
Fremder Avatar: «One o’clock… OK, bye!»
Rickrolling in VR
Gut, dann eben weiter in den Kinosaal. Doch da war ich ganz alleine. Immerhin: So konnte ich bestimmen, welches YouTube-Video als nächstes auf der grossen, virtuellen Leinwand laufen sollte:
Leider vertrieb ich so den einzigen Besucher, der kurz nach mir ins Kino kam. Damit war auch «AltspaceVR» für mich erledigt und ich zog weiter zu «VRChat». Im Gegensatz zu «AltspaceVR» herrschte dort kein Mangel an möglichen Gesprächspartnern. Doch auf gehaltvolle Konversation wartete ich vergebens. Dafür werde ich schon nach wenigen Augenblicken von einem Unbekannten mit dem Tod bedroht.
Fazit: Interessant für Freunde belanglosen Smalltalks
Social-Virtual-Reality ist also auch in Zeiten von Corona noch ein Schlagwort, das mehr verspricht, als es halten kann. Zwar hat es seinen Reiz, Freunde oder Unbekannte nicht bloss in einem Chatroom zu treffen, sondern in einer dreidimensionalen Welt, in der man sich bewegen kann und – den Avataren sei Dank – auch so etwas wie nonverbale Kommunikation möglich ist.
Doch damit tut sich rasch der sogenannte «Gruselgraben» auf – das «Uncanny Valley», das man auch von Robotern oder Trickfilmen her kennt: Etwas, das fast aussieht oder sich anfühlt wie echt, aber eben doch nicht ganz, so dass sich unheimliche Irritation breit macht.
Das muss nicht so bleiben: Firmen wie Microsoft oder auch Facebook, das mit «Horizon» an einer eigenen Social-VR-Plattform arbeitet, setzen darauf, dass sich die virtuelle Realität in Zukunft als Treffpunkt für Chats oder Konferenzen etabliert. Doch bis die Technik dahinter wirklich ausgereift ist, bleiben die Plattformen wohl vor allem für Leute interessant, die gerne sich gerne mit wildgewordenen Kindern balgen oder belanglosen Smalltalk als höchste Gesprächsform schätzen.