Ich mache mich auf den Weg nach Zuoz im Oberengadin. Dort wird vom 1. bis zum 18. August die romanische Sprache und Kultur gebührend gefeiert. Unter anderem mit Rundgängen durch den historischen Ort, an denen man die Sprache lernen kann – und nebenbei etwas über die Geschichte von Zuoz erfährt.
Laufend Romanisch lernen
«Salüds!» – im malerischen Dorfkern treffe ich Martina Shuler, die für die nächste Stunde meine Begleiterin und Sprachlehrerin sein wird. Sie arbeitet für die Organisation Lia Rumantscha, die ihr 100-jähriges Bestehen feiert.
Zur Begrüssung gibt Martina Shuler mir ein Heft mit den wichtigsten romanischen Wörtern in die Hand: «Tres giassas e straglias» – laufend Romanisch lernen. Dann geht’s los.
Wir stehen vor einem geschichtsträchtigen Haus am Dorfplatz. «Das ist ein Herrenhaus der Familie Planta, einer wichtigen Familie für Graubünden und Zuoz», erklärt Martina Shuler. Die Familie kam zu viel Reichtum. Ihre Häuser prägen bis heute das Dorfbild von Zuoz.
Beschriftungen auf Romanisch
Gleich neben dem Haus beginnen wir mit den ersten Sprachübungen. Hier wird klar, warum sich besonders Zuoz für einen Rundgang mit Sprachkurs eignet. Denn hier ist vieles nur auf Romanisch angeschrieben.
«‹Bacharia› ist der Metzger und ‹Pastizaria, Furnaria› ist der Bäcker», übersetzt Martina Shuler. Man muss sich nur ein bisschen umschauen, dann sieht man überall romanische Namen. «‹Crusch Alva›, das heisst weisses Kreuz. ‹Alba› heisst ja Weiss auf Lateinisch», sagt Martina Shuler.
Keine einfache Sprache
Neben den Namen ist auf den Häusern auch zu lesen, wer sie gebaut hat und wann. Ich versuche, von einer Hausfassade vorzulesen. «Quista chesa es gnida fabricheda de Gian Travers.» Die erste Herausforderung ist geschafft. Meine Begleiterin ist zufrieden.
Weiter geht es zu einer der drei Kirchen im Dorf. «Kirche ist la ‹baselgia›, das kommt von Basilica.» Doch Kirche ist nicht gleich Kirche. Auf die Grösse kommt es an.
«Man könnte sagen, ‹baselgia› ist die Kirche. Und ‹baselgina› ist die ganz kleine Kirche. ‹baselgietta› ist eine mittelgrosse. ‹baselgiuna› ist eine grosse Kirche.» Ob ich mir das merken kann?
Kunstvoll wiederaufgebaut
Hier erfahre ich von Martina Shuler, dass die Kirche während des Schwabenkrieges Ende des 15. Jahrhunderts abgebrannt ist, wie ganz Zuoz. Das Dorf wurde aber schnell wiederaufgebaut. Blickfang sind die kunstvollen Glasfenster, gestaltet von heimischen Künstlern, unter anderem von Augusto Giacometti.
Weiter geht es zur Sonnenuhr. «Das ist eine ‹ura da sulagl›. ‹Sulagl› ist die Sonne. «Ad es las set. Ad es desch da las trais», lese ich aus dem Heft vor, das mir Martina Shuler gegeben hat.
Die romanische Sprache ist nicht einfach – und auch nicht in einer Stunde zu lernen. Aber sie macht neugierig. Das ist der Sinn dieses Rundgangs und der ganzen Feierlichkeiten rund um das Jubiläum der Lia Rumantscha. «‹Fer cuaida dad imprender la lingua. Wir möchten Lust machen auf die Sprache.»
Das hat sich Martina Shuler zur Aufgabe gemacht. Sie ist regionale Mitarbeiterin bei der Lia Rumantscha und für das Oberengadin zuständig, unter anderem für die Sprachkurse. Während des Festes führen aber auch Studentinnen und Studenten Gäste durch Zuoz. Sie sollen zeigen, dass auch junge Leute Romanisch sprechen und stolz sind auf ihre Sprache – eine der vier Landessprachen.