SRF Kultur: Pro Senectute bietet Dienstleistungen für Menschen ab 55 Jahren an. Ist man mit 55 schon alt?
Kurt Seifert: Man ist grundsätzlich so alt wie man sich fühlt. Es gibt Angebote für Personen ab 55. Die Hauptzielgruppe sind aber Personen ab 65. Dafür erhält Pro Senectute auch Gelder vom Bund und den Kantonen.
Vermutlich haben viele Menschen, die Mitte 50 oder anfangs 60 sind, Berührungsängste mit Pro Senectute. Wie geht die Stiftung damit um?
Pro Senectute versucht zu zeigen, dass das Alter sich heutzutage unterscheidet vom Alter von vor 100 Jahren, als die Stiftung gegründet wurde. Früher waren viele Menschen mit 65 Jahren, wenn man das Alter überhaupt erreicht hat, schon sehr alt und ausgelaugt.
Heute haben viele Menschen in diesem Alter noch vieles vor. Dabei werden sie durch die Angebote von Pro Senectute unterstützt. Es gibt kulturelle wie auch gesellige Angebote.
Vielerorts herrscht das Bild, dass die Angebote der Pro Senectute altmodisch sind. Das Programm ist aber für die Menschen unserer Zeit ausgelegt.
Als die Stiftung vor 100 Jahren gegründet wurde, ging es hauptsächlich darum, die Armut unter alten Menschen zu reduzieren. Wie viel ist von diesem Kerngedanken geblieben?
Sehr viel. Pro Senectute ist sich bewusst, dass die Altersarmut nur reduziert werden konnte, dadurch dass sich die Stiftung für die Schaffung einer gesetzlichen Altersversicherung eingesetzt hat. Als die Stiftung 1917 gegründet worden ist, gab es ja noch keine AHV. Dieser Fokus auf dem Alter als einer sozialen Frage ist Pro Senectute bis heute wichtig geblieben.
Es herrscht das Bild, dass die Angebote der Pro Senectute altmodisch sind. Das Programm ist aber für die Menschen unserer Zeit ausgelegt.
Fast 20 Prozent der älteren Leute in der Schweiz müssen mit dem Existenzminimum leben. Wie massiv ist dieses Problem?
In die schweizweiten Beratungsstellen kommen jährlich mehr als 40'000 Menschen. Bei mehr als der Hälfte dieser Personen stehen finanzielle Fragen im Vordergrund.
Wir haben vor einigen Jahren die Studie zur Altersarmut in der Schweiz gemacht, um darauf aufmerksam zu machen, dass es beispielsweise das System der Ergänzungsleistungen braucht. Das darf nicht abgebaut werden, sondern braucht in bestimmten Bereichen einen Ausbau.
In die schweizweiten Beratungsstellen kommen jährlich mehr als 40'000 Menschen.
Der Fokus muss daraufgelegt werden, ältere Menschen nicht als eine homogene Gruppe zu sehen. Die materiellen Unterschiede in der Generation ab 65 sind am grössten. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich in dieser Generation sehr stark. Meiner Meinung nach ist es die Aufgabe der Politik – und darauf weist Pro Senectute immer wieder hin – dem entgegenzuwirken und dafür zu sorgen, dass diese Schere nicht grösser wird.
Das Gespräch führte Katharina Mutz.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 23.10.2017, 17.08 Uhr