Viele Nächte lang lagen vier Forscherinnen im Basler Münster auf der Lauer. Sie suchten im Dunkeln die Wände mit ultraviolettem Licht ab. Und wurden fündig: Sie entdeckten Reste mittelalterlicher Wandmalereien.
«Von denen wusste man zuvor nichts», sagt Bianca Burkhardt, Restauratorin an der Basler Münsterbauhütte und eine der Forscherinnen im Projekt «PolyBasel». Zu den Funden gehören Darstellungen der Kreuzigung, anderer biblischer Szenen und Heiligen. Mit Röntgenmethoden wurden Farben rekonstruiert.
Bildlose Wände
Nach der Reformation, die 1529 Basel erreichte, waren die Bilder übertüncht worden. Im 19. Jahrhundert wurden die Wände dann bearbeitet, bis sie steinsichtig waren.
Dabei wurden winzige Farbpartikel in das Gestein geschlagen – die nun mit neuen, strahlendiagnostischen Verfahren teilweise sichtbar gemacht werden konnten.
Bianca Burkhardt packte nach dieser Entdeckung der Forscherdrang: Sie wollte mehr wissen über die Steine des Münsters, mit dem sie tagtäglich zu tun hat.
Der Weg der Steine
Die Restauratorin verfolgte den Weg der Steine zurück bis zu ihren Ursprüngen. Sie investierte ihre Freizeit, um zu verstehen, wo der Stein herkam. In dem Geologen Wolfgang Werner und dem Sedimentologen Johannes Miocic aus Freiburg i. Br. fand sie Experten, die ihr den Weg der Steine zeigten.
Denn was Burkhardt beim Studieren mittelalterlicher Rechnungsbücher der Münsterfabrik sah: Die Steine für den Bau des Münsters kamen alle aus den Gebieten des Süd-Schwarzwaldes, im heutigen Baden-Württemberg.
Wilde Kreuzschichtung
Burkhardt wurde bewusst: Bis der grobkörnige Buntsandstein entsteht, «der von uns so geschätzte Werkstein», ist es ein langer Weg. Dass dieser so witterungsbeständig ist, hängt mit seiner Entstehung zusammen.
Es handelt sich um ein Sediment-Gestein, das durch verschiedene Ablagerungen entsteht. Es wuchs vermutlich in einem «Schüttungsfächer»: einer Zone, wo sich Geröll und Schutt eines früheren Gebirges ablagerte.
Je nach Stärke des Regens wurde dieses heftig mitgerissen oder zart angespült. So entstand eine wilde Kreuzschichtung.
Beeindruckt ist Bianca Burkhardt von den damaligen Bauleuten, die im Mittelalter das Münster aus-, um- und weiterbauten. Diese wählten das Gestein «mit Sachverstand und genauer Beobachtungsgabe zielsicher aus» – je nach Bedarf unterschiedliches.
So ist das Mauerwerk aus grobporigerem Buntsandstein, aus dem Feuchtigkeit gut wieder entweichen kann. Für bildhauerische Arbeiten wurde feinkörnigeres Material verwendet, aus dem exakte Formen gehauen werden können.
Echo der Jahrhunderte
Das ursprünglich verwendete Gestein sei so gut, dass die Restauratorinnen und Restauratoren es höchst selten austauschen müssen. Problematisch wurde es erst in Zeiten der Industrialisierung.
Denn einerseits wuchs der Bedarf für Baumaterial rasant, andererseits konnten Steine durch die Eisenbahn weite Strecken zurücklegen. Doch bei Fernbestellungen konnten die Baumeister das Material nicht mehr mit eigenen Augen begutachten. So kam auch suboptimale Ware in Basel an, die für witterungsbedingte Schäden anfälliger war.
Je mehr sie sich mit der Geschichte der Steine beschäftigt, umso verbundener fühlt Bianca Burkhardt sich mit den Menschen, die Jahrhunderte vorher am Basler Münster arbeiteten: «Ich meine, ihre Begeisterung in einer Art Echo zu hören.»