Dass wir heute überhaupt ein akustisches Dokument von der ersten Radiosendung besitzen, verdanken wir einem Zufall: Wenige Monate nach ihrer Ausstrahlung wurde die Sendung nachgestellt und auf Wachsplatte konserviert. Kurios bis heute: Es gab an diesem 29. Oktober 1923 nicht einen einzigen angemeldeten und zahlenden Radiohörer.
Das war auch nicht weiter verwunderlich. Die Rundfunkgebühr betrug die astronomische Summe von 350 Millionen Reichsmark – ein Liter Milch kostete das Zehnfache. In Deutschland stieg die Inflation ins Unermessliche, Armut und Elend wucherten vor allem in den Grossstädten.
Radioten der ersten Stunde
Kurz nachdem der erste Radiosender Deutschlands, die Funk-Stunde, den Sendebetrieb begonnen hatte, zählte man ganze 467 Hörer. Radioten wurden diese abfällig genannt. Ein Jahr später waren es im gesamten Reichsgebiet bereits eine Million. 1932 gab es mehr als vier Millionen zahlende Rundfunkhörer, etwa 6,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Und mindestens ebenso viele Schwarzhörer. Das Radio entwickelte sich zu einem «Kulturfaktor», so der Pionier und damals erste Reichsrundfunkdirektor Hans Bredow.
Auch die tägliche Sendezeit stieg stetig: Waren es 1923 nur 60 Minuten, gab es 1932 schon 15 Programmstunden pro Tag. Die neuen Möglichkeiten der simultanen akustischen Berichterstattung zogen die Hörer in ihren Bann. Ein ungeheures Medienereignis, das seine suggestive Wirkung durch Unmittelbarkeit und Live-Charakter erzielte.
Von Anfang an gab es den Moderator. Zunächst hiess er noch Conferencier: Er war es, der das Programm präsentierte, über Hintergründe berichtete, vordergründig kommentierte, Anekdoten erzählte und Gedichte rezitierte.
Die leichte Unterhaltung war beliebt ...
In seiner Anfangszeit war das Programm in seiner technischen und künstlerischen Qualität bescheiden. Die Radiomacher der ersten Stunde versuchten dem sowohl kulturellen Anspruch gerecht zu werden als auch kommerziell erfolgreich zu sein – und das bei möglichst niedrigen Produktionskosten. In der ersten Sendung vom Oktober 1923 gab es etwa keinen einzigen journalistischen Wortbeitrag, keinen Kommentar und keine Reportage.
Freude bereitete den Hörerinnen und Hörern vor allem die leichte Unterhaltung. Einer Umfrage von Mitte der 1920er-Jahre zufolge, setzten 83 Prozent der Befragten die Operette auf Platz eins. An zweiter Stelle folgten Sendungen über das aktuelle Zeitgeschehen.
... und sehr umstritten
Zugleich gab es heftige Debatten über die negativen Auswirkungen des Radios auf die Hörer, auf Kultur und Politik. Viele Intellektuelle und Künstler wie der österreichische Komponist Arnold Schönberg standen dem neuen Medium äusserst distanziert gegenüber («Unterhaltungsdelirium»). Kritiker wie Schönberg meinten, das Radio nivelliere die Kunst, indem sie diese massenhaft und willkürlich verbreite. Der Schriftsteller Arnold Zweig dagegen sah im Hörfunk eine Möglichkeit, die Tradition des mündlichen Erzählens wieder zu beleben. Diese sei seit der Erfindung des Buchdrucks immer mehr ins Abseits geraten.
Die klassischen Formate etablieren sich
1924 hatten Presseschau, Börsen- und Wetterbericht Premiere. Aktuelle Ereignisse wurden im Originalton gesendet, im Interview nacherzählt und auf Schallplatte gepresst. 1929 wartete der Rundfunk mit einer sensationellen Neuerung auf - der Reportage vor Ort. Mit dem Mikrophon ging man aus dem Studio hinaus, berichtete auf einen Sportplatz, in einem Ballon oder «unter Tage». Etwas liess aufmerken: Mitunter war das Programm, die Übertragung an sich, das Ereignis und weniger die Nachricht selbst.
Schliesslich gingen die ersten stundenfüllenden Hörspiele über den Äther. Zunächst noch live und mit ungewöhnlichen Mitteln: Metallene Handwerkskisten, über Leitern hinunter geworfen, simulierten abstürzende Flugzeuge. Cellophan, rhythmisch geknautscht, klang wie eine marschierende Truppe. «Weekend» (1930) von Walter Ruttmann gehörte zu den berühmtesten experimentellen Hörspielen der Weimarer Republik.
Eine der letzten Hörspielproduktionen der Weimarer Republik war Bertolt Brechts «Die Heilige Johanna der Schlachthöfe» (1932). In Deutschlands Theatern traute sich niemand mehr, das Stück auf die Bühne zu bringen – seiner antikapitalistischen Botschaft wegen.
Joseph Goebbels: «Der Rundfunk gehört uns!»
Noch ehe der Sendebetrieb sich richtig entwickeln konnte, ging es bereits um Fragen der Zensur. Diese übten die sogenannten Überwachungsausschüsse aus, die von den jeweiligen Landesregierungen eingesetzt wurden. Diese Ausschüsse verfügten über ein umfassendes Kontrollrecht, das ihnen erlaubte, das Programm der jeweiligen Rundfunkanstalt unmittelbar zu beeinflussen.
Die Nationalsozialisten beendeten das erste Kapitel des deutschen Rundfunks. Nach der Machtübernahme 1933 kam es zu «personellen Säuberungen», wie es im beschönigenden Sprachgebrauch der Verfolgungsapparate hiess. Systematisch setzten sie den Rundfunk für ihre Ziele ein: Für Kriegstreiberei und antisemitische Propaganda.