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1967 – Jahr des Umbruchs «Ohnesorg war der symbolische Student, der sich wehrte»

Vor 50 Jahren wurde der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen. Das Ereignis veränderte Deutschland. Der Schriftsteller Uwe Timm war ein Freund Ohnesorgs. Heute wünscht er sich ein neues 1967.

SRF: Uwe Timm, Sie sind in Ihrem Werk immer wieder auf den Tod Ihres Freundes Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 zu sprechen gekommen. Warum?

Uwe Timm

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Legende: Imago/teutopress

Der deutsche Schriftsteller Uwe Timm war als Student in den 1960er-Jahren politisch aktiv. 1967 studierte er in Paris, wo er vom Tod seines Freundes Benno Ohnesorg erfuhr. In der Erzählung «Der Freund und der Fremde» verarbeitete der Autor Erinnerungen an seinen Freund und zeichnet gleichzeitig ein Bild der Jugend in den 1960er-Jahren.

Uwe Timm: Dieser Tod steht für einen Einschnitt in der Politik Deutschlands. Da ging es einerseits um den Besuch des Schahs von Persien, der umstritten war, aber auch um Figuren wie den Kanzler Georg Kiesinger, der ein Nazi war.

Das Bild vom Tod Ohnesorgs, wie er auf dem Boden liegt, blutend, mit der jungen Frau, die sich um ihn kümmert, das war wie der Startschuss für Proteste und für antiparlamentarische Opposition.

Sie beschreiben in Ihrem Buch «Der Freund und der Fremde» das Bild des sterbenden Benno Ohnesorg. Sie erwähnen auch ein anderes Bild: die weinenden Kinder in Vietnam – eines ohne Kleider, von Napalm verbrannt. Welches hat denn stärker den Unmut der Jugend provoziert?

Die beiden Bilder gehören zusammen. Ein wichtiger Aspekt war, dass diese Proteste international waren. Wir sind schon vor dem Mord an Benno Ohnesorg gegen Vietnam auf die Strasse gegangen. An jenem 2. Juni stand die Jugend für den Kampf gegen die Unterdrückung der Armen durch die Reichen – Benno Ohnesorg war der symbolische Student, der sich wehrte, auch für studentische Reformen an den Hochschulen.

Bilder haben einen direkten Zugang zu den Emotionen, sehr viel direkter als abstrakte Informationen. Diese beiden Bilder – das aus Vietnam und das aus Berlin – das waren wie Ikonen, die haben Empörung ausgelöst. Dieses Moment der Empörung ist wichtig, dass aus den politischen Einsichten eine Kraft erwächst, die in die Praxis umgesetzt werden kann.

Schwarzweiss Foto eines Mannes, der mit blutigem Kopf auf dem Biden liegt. Eine Frau hält seinen Kopf.
Legende: «Eine Ikone, die Empörung auslöste»: Das Foto des sterbenden Benno Ohnesorg. Keystone

Das ist der Unterschied zu heute: wir wissen alle, wie ungerecht die Welt ist, wir kritisieren auch viel, aber letztlich fehlt von mir aus gesehen der Anstoss, etwas dagegen zu tun.

Benno Ohnesorg

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Am 2. Juni 1967 wurde der 26-jährige Student an einer Demonstration in West-Berlin vom Polizisten Karl-Heinz Kurras erschossen. Das Ereignis weckte grosse Empörung und führte zu einer Ausweitung der Studentenbewegung. Ohnesorgs Tod gilt als Wendepunkt in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte.

Zurück zum Jahr 67: Karl-Heinz Kurras, der Todesschütze, wurde im Prozess freigesprochen...

Ja, das wurde dann «putative Notwehr» genannt. Dieser Freispruch hat noch für weit mehr Empörung gesorgt, weil er aufgezeigt hat, wie sehr der Westdeutsche Staat noch faschistisch geprägt war.

Was kam, war ein gigantischer Generationenkonflikt – wie haben Sie das erlebt?

Wir waren mit einer Vätergeneration konfrontiert, die auch die Tätergeneration war. Die redeten immer noch davon, dass das Wetter oder der Verrat die deutsche Niederlage verursacht hatten.

1945, die Kapitulation, das war ein Einschnitt in das politische Verständnis. Wir wurden von Aussen zur Demokratie gemacht, aber die Mentalität war immer noch dieselbe. Dieser Mentalität begegnete man in Universitäten, in Schulen und Ämtern. Logisch, waren ja zu grossen Teilen dieselben Menschen.

Schwarzweiss Foto einer Trauergesellschaft, die einen mit Blumen geschmückten Sarg leiten.
Legende: Angehörige und Freunde begleiten am 9. Juni 1967 den Sarg von Benno Ohnesorg auf dem Friedhof Bothfeld in Hannover. Keystone

Einen Moment dozierten sie von der «Reinen Liebe zum Führer», dann plötzlich vom Segen der Demokratie. Gegen diese Autoritäten haben wir uns 1967 gewehrt. Erfolgreich, denn in jenem Jahr gab es diesen wichtigen Einschnitt, diesen Schritt zur Demokratie. Weil wir alles hinterfragt haben, damals.

Sie haben eingangs gesagt, heute fehle es an Empörung – würden Sie sich ein erneutes 1967 wünschen?

Ja! Wenn man das schaffen könnte, schon. Ich denke, es liegt auch etwas in der Luft. Das Gefühl ist bei vielen Menschen da, dass sich etwas ändern muss. Das seh ich bei meinen Kindern und ihren Freunden.

Buchhinweis

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Uwe Timm: «Ein Freund und der Fremde». Kiepenheuer & Witsch, 2005.

Noch aber braucht es etwas mehr: wir haben 1967 bemerkt, dass wir mit Basisdemokratie etwas erreichen können, dass nicht mehr nur über uns entschieden wird. Heute ist zwar viel Druck im Kochtopf, aber noch funktionieren die Ventile.

Das Gespräch führte Eric Facon.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 2.6.2017, 9:02 Uhr.

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