Alfred Escher war Unternehmer, Eisenbahn-Pionier. Er gründete eine Bank und war Nationalrat. Und dass es eine ETH gibt, ist auch seiner Hartnäckigkeit zu verdanken. Gleichzeitig kannte Escher wenig Rücksichten, wenn es um die Umsetzung seiner Pläne ging. Wer ihm nicht folgte, den sah er als Gegner. SRF-Wissenschaftsredaktor Christian von Burg über Aufstieg und Fall des «Rich Kids», das heute vor 200 Jahren geboren wurde.
SRF: Alfred Escher stammt aus einer reichen, alteingesessenen Zürcher Familie. Wurde ihm alles in die Wiege gelegt?
Christian von Burg: Nur das Geld, ein grossartiges Startkapital sozusagen. Alfred Escher wuchs in Zürich Enge auf, im Belvoir, einem hochherrschaftlichen Anwesen.
Alfred Escher wuchs in einem goldenen Käfig auf.
Aber so reich diese Familie war – in Zürich war sie damals nicht besonders angesehen.
Warum nicht?
Eschers Grossvater hatte sich mit Finanzgeschäften verspekuliert. Er ging bankrott und brachte damit viele Zürcher Familien um ihr Geld. Seinem Sohn, dem Vater von Alfred Escher, gelang dann der Wiederaufstieg als Selfmademan in den USA.
Als vermögender Mann kehrt er zurück in die Schweiz und baut sich an der damaligen Stadtgrenze von Zürich die Villa mit Blick über den Zürichsee. Alfred Escher wächst in einem goldenen Käfig auf – reich, aber isoliert und unbeliebt beim Zürcher Bürgertum.
Einige Jahre später wurde er zu jenem Escher, den man kennt: ein «animal politique» des frühen Bundesstaats, ein begnadeter Geschäftsmann und vor allem ein Eisenbahn-Baron. Wie hatte er das geschafft?
1847 gab es in der Schweiz gerade mal eine Eisenbahnstrecke, die sogenannte Spanisch-Brötli-Bahn zwischen Zürich und Baden.
Deutschland hatte im Vergleich dazu damals schon mehrere 1000 Kilometer Eisenbahn, England gar 10'000 Kilometer. Die Schweiz war im Hintertreffen.
Escher spielte eine zentrale Rolle beim damaligen Schweizer Eisenbahn-Boom. Als Nationalratspräsident brachte er in Bern eine Mehrheit zustande, die den Bau und Betrieb der Eisenbahn-Linien den Privaten überliess.
Nach diesem Entscheid baute er als Geschäftsmann an vorderster Front mit.
Escher war schon zu Lebzeiten umstritten. Er befahl. Wer nicht machte, was er wollte, wurde fallengelassen.
Eine ganz schöne Konzentration von Politik und Wirtschaft in einer Person. Wäre das heute noch denkbar?
Escher hat das auf die Spitze getrieben. Auch beim Bau des ersten Gotthard-Eisenbahntunnels hat er eine zentrale Rolle gespielt.
Es war nicht von Beginn weg klar, wo dieser Alpendurchstich erfolgen soll: am Splügen, Lugano oder im Gotthard. Für Eschers Nord-Ost-Bahn und für Zürich war der Gotthard geografisch ideal. Es wurde dann – wen wundert’s – der Gotthard.
Die Schweiz feiert dieses Jahr nicht nur den 200. Geburtstag von Alfred Escher, auch Gottfried Keller wird 200. Auffallend ist, dass über Escher mehr gestritten wird als über Keller. Warum?
Escher war schon zu Lebzeiten umstritten. Er befahl. Wer nicht machte, was er wollte, wurde fallen gelassen.
Deshalb wurde er von Kritikern auch als Diktator beschimpft. Als die Finanzierung des Gotthard-Tunnels aus dem Ruder lief, wurde er als Direktionspräsident der Gotthard-Bahn zum Rücktritt gedrängt. Ein ziemlich tiefer Fall.
Alfred Escher selbst war gar nicht mehr dabei, als es wirklich zur Eröffnung des Gotthard-Tunnels kam.
Damals war er schon sehr krank. Bereits beim Durchstich war er nicht einmal eingeladen, dieser «Zar von Zürich», wie man ihn damals nannte. Diese Bezeichnung hat etwas Verurteilendes und gleichzeitig etwas Bewunderndes.
Escher war ein Mann von einer unglaublichen Schaffenskraft. Er steht aber eben auch für eine ungeheure, fast unheimliche Machtballung.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge.