Für Susanne Altoè ist das Leben heilig. Sie ist überzeugt: Kein Mensch sollte seinem Leben selbst ein Ende setzen. Und doch begleitet Susanne Altoè als römisch-katholische Seelsorgerin regelmässig Patientinnen und Patienten, die sich für einen assistierten Suizid entschieden haben.
Zum Beispiel eine ältere Frau mit Demenz. Eine halbe Stunde vor ihrem Termin mit Exit sagte sie der Seelsorgerin: Sie wisse, dass sie nicht auf dem Friedhof begraben werden könne, weil sie Sterbehilfe in Anspruch nehme. «Ich versicherte ihr, dass das nicht stimme, dass die Pfarrei nicht über die Art ihres Todes informiert werde», erzählt Susanne Altoè. «Und dass Gott die Not sicher sehe, die sie zu diesem Schritt geführt hat.»
Begleiten, nicht urteilen
Für Susanne Altoè, Vizepräsidentin des Berufsverbandes Seelsorge im Gesundheitswesen, ist klar: «Seelsorge bedeutet, ganz beim Menschen zu sein. Meine Aufgabe ist die Begleitung, nicht das Urteilen.»
Die Patientinnen und Pflegeheimbewohner fürchteten sich oft vor dem Leiden am Schluss des Lebens. Diese Ängste gelte es anzusprechen.
Bei allem Verständnis hat die Begleitung für Altoè Grenzen. Sie verlässt den Raum, wenn die Patientin oder der Patient das Gift schluckt. «Der assistierte Suizid ist ein aktiver Eingriff mit dem Ziel, einem Leben ein Ende zu setzen. Das hat etwas Gewaltsames. Dabei stossen viele an ihre Grenzen: Angehörige, Pflegende, Seelsorgende.»
Altoè schätze es, dass ihre Kirche ihr die Freiheit gebe, bei diesem Akt nicht dabei zu sein. So wie sie ihrerseits die Freiheit akzeptiere, dass sich Menschen für den assistierten Suizid entscheiden.
«Moralisch falsche Handlung»
Tatsächlich schreibt die römisch-katholische Kirche ihren Seelsorgenden sogar vor, beim «Suizidakt das Zimmer physisch zu verlassen». So steht es in der Orientierungshilfe der Schweizer Bischofskonferenz.
In dieser Orientierungshilfe heisst es auch, dass der assistierte Suizid eine «moralisch falsche Handlung» sei und dass Seelsorgende Menschen mit «Wunsch nach dem Tod» zwar begleiten sollen, allerdings «in der Hoffnung, dass er in einen Lebenswunsch verwandelt wird».
Die christkatholische und die reformierten Landeskirchen befürworten hingegen eine Begleitung bis in den Tod.
Umdenken erst vor sechs Jahren
Bis zu diesem offenen Umgang dauerte es lange. Erst 2017 erlaubte die Waadtländer reformierte Kirche als erste Kantonalkirche die Begleitung von Suizidwilligen explizit. Ein Jahr später folgte die reformierte Landeskirche Bern Jura Solothurn. Beide Entscheidungen führten zu heftigen Diskussionen. Kritiker fürchteten, eine seelsorgerische Begleitung könnte als Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe gelesen werden.
Die Angst vor einem Dammbruch sei gross gewesen, sagt Isabelle Noth, Professorin für Seelsorge an der Universität Bern: «Es gab die Befürchtung, dass ältere Menschen sich unter Druck gesetzt fühlen könnten, Sterbehilfe mit assistiertem Suizid in Anspruch zu nehmen.»
Schliesslich konnten und wollten sich die Kirchen dem gesellschaftlichen Wandel nicht mehr entziehen. Sie erkannten: Wer Menschen am Lebensende begleiten will, muss sich mit dem assistierten Suizid auseinandersetzen. Auch wenn das für Seelsorgende bis heute oft ein Balanceakt ist.