Kurz vor drei Uhr nachmittags steigt die Spannung im Sendestudio: In der Regie prüft Audiotechniker Lukas Fretz nochmals alle Einstellungen. Drei Bildschirme hat er vor sich. Hinter der Glasscheibe, im Aufnahmestudio, räuspert sich Moderatorin Monika Schärer ein letztes Mal.
Die Gäste am runden Tisch hören auf, mit ihren Papieren zu rascheln. Der Zeiger an der Uhr rückt vor. «Noch zehn Sekunden», dann ertönt das Signet. 55 Minuten Konzentration sind angesagt, vor und hinter der Glasscheibe.
220'000 Ohren
Seit März 2015 wird «Kontext» «live on tape» produziert: wie live, aber vorproduziert. Um 18 Uhr sind die Sendung und ein begleitender Artikel bereits online. «Kontext» ist nicht nur eine tägliche Radiosendung zu Kunst und Kultur, zu Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft, Religion und Politik. Die Sendung ist ein multimediales Angebot mit Hintergrundwissen. Rund 110'000 Menschen hören die Sendung täglich, 110'000 pro Monat beziehen sie als Podcast, immer mehr nutzen das Angebot am Bildschirm.
Am Anfang stand eine Sparübung. «Kontext» entstand vor 25 Jahren aus dem Zusammenschluss von «Aula» und «Land und Leute». Manche sahen im neuen Format «das Sammelgefäss all jener Sendeinhalte, die nach Sparübung und Umbau der Programmstruktur im Radio von 1991 sonst nirgends mehr Platz finden». So formulierte es Eva Wyss, die erste Redaktionsleiterin, die gleich nachsetzte, die Sendung habe «sehr schnell ein eigenes Profil» entwickelt.
Die Redaktorinnen und Redaktoren der ersten Stunde blickten tief in die Psyche von Drogenabhängigen (hier setzte die langjährige Redaktorin Angelika Schett Massstäbe), die weitgereiste Regula Renschler erkundigte sich gründlich über die Ursachen von Armut in Westafrika.
Hans-Stefan Rüfenacht erzählte einen Vulkanausbruch so anregend, als wär man dabei. Hier das Gespräch, dort die Reportage, dann wieder ein Streitgespräch – Vielfalt war das Markenzeichen der Sendung, die vom Publikum geschätzt wurde, was sich in der grossen Zahl von Kassettenbestellungen niederschlug.
Erzählerischer und aktueller
Irgendwann in den 1990er-Jahren lernte die Redaktion den Umgang mit Computern, und das Schreibmaschinengeklapper verstummte in den engen Büros. Aber lange noch wurden die Sendungen mit Bändern zusammengestellt, das analoge Zeitalter überdauerte die Jahrtausendwende.
Schneller veränderte sich das journalistische Selbstverständnis. Die Sendung legte ihren da und dort etwas pädagogischen Duktus ab. Sie wurde erzählerischer und aktueller. «Kontext» war die Sendung, die sich als eine der ersten mit Kinderpornografie und Sextourismus auseinandersetzte.
Sie spürte früh Phänomenen wie dem Burn-out nach, berichtete über Potentatengelder auf Schweizer Banken und über den Klimawandel. Und sie blieb bei einigen Themen über Jahre dran – beim Verhältnis zwischen der Schweiz und Europa, bei der Rolle der Religion im «Kampf der Kulturen» nach dem 11. September 2001.
Multimedia braucht Teamarbeit
Mit dem Zusammenschluss in der Redaktion «Kunst und Gesellschaft» setzte ein produktiver Prozess ein. Er wurde zusätzlich befeuert wurde durch die Konvergenz zwischen Radio und Fernsehen und durch eine multimediale Ausrichtung der Sendungen.
Die multimediale Medienlandschaft rief nach anderen Formen der Vermittlung, die Interaktion mit dem Publikum wurde wichtiger. Der Journalismus verändert sich. Autorschaft, noch immer zentral, ist heute nur denkbar in einem Team, in dem man sich gegenseitig inspiriert.
Der Regler und das Glücksgefühl
Der neue «Kontext», wie er seit 2015 über den Sender geht, ist Ausdruck dieses neuen Selbstverständnisses: hier gesellschaftliche und politische Themen, durch die kritische Brille der Kultur betrachtet, dort kulturelles, literarisches und musikalisches Schaffen, an den gesellschaftlichen Verhältnissen gespiegelt. Nicht immer gelingt es, manchmal scheitern wir auch an unserem Anspruch.
Aber immer wieder gibt es diese Glücksgefühle: wenn sich kurz vor vier Uhr Moderatorin Monika Schärer verabschiedet. Wenn ein Schmunzeln um die Lippen, die Gäste am runden Tisch erlöst und sie inspiriert aufatmen, wenn Lukas Fretz den Regler herunterschiebt. Und alle Daumen hochgehen.