Man muss es wollen. Denn es kostet und tut weh: Ein Piercing. Wo immer es hinkommt. In die Brustwarze oder durch die Nasenscheidewand. Durch die Augenbraue oder Zunge. Oder dort hin wo es nur Auserwählte entdecken dürfen: im Intimbereich. Steffi, eine Coiffeuse, will es. Und ich war dabei. Vor 18 Jahren.
Kleider machen keine Leute mehr
In diesem Jahrhundert hat sich der Trend verstärkt. Mit Kleidern kann man nicht mehr Identität markieren. Klamotten taugen kaum mehr für die Rebellion. «Mein Body gehört mir. Der Körper ist ein soziales Schlachtfeld und ein Austragungsort», sagt Nigel Barley, ein britischer Anthropologe.
Immer wieder setzt er sich mit Trends, Mode und Zeitgeist auseinander. In der fast uneingeschränkten Verfügungsgewalt über den eigenen Körper sieht Barley die moderne Rebellion. Ich kann mich stylen. Ich kann mich trimmen. Ich kann essen wie und was ich will. Ich pierce mich wo und so oft ich will.
Steffi sagte es klar: Ein Loch genügt nicht. Nach dem Bauchnabel und der Zunge muss noch mehr her. Irgendwann. Längst piercen sich auch gestandene Erwachsene. Als Wegmarke in der eigenen Biographie. Als Mutprobe oder aus anderen, persönlichen Gründen.
Abgrenzen durch Schmerz
Für Jugendliche wird es immer schwieriger sich von den Alten abzugrenzen. Nigel Barley sagt es so: «Die Verweigerung des Lebensstils der Erwachsenen wird unmöglich, weil es einen Lebensstil der Erwachsenen gar nicht mehr gibt.» Mit anderen Worten: Für Jugendliche braucht es immer mehr, immer extremeres um klar zu machen: «Die Zukunft gehört mir!»
Und heute? Die Jugend löchert sich noch immer. Aber sie hat auch andere Formen der Rebellion gefunden. Im Trend ist die Abgrenzung durch das richtige Essen. Die Orthorektikter kommen, die Korrektesser: Vegetarier, Flexitarier und die Crème de la Crème: die Veganer. Ihre Verfügungsgewalt über den Körper heisst Verzicht. Auch das ist ein selbstgewählter Schmerz. Aber er ist still und unsichtbar.