54 Prozent der Abstimmenden lehnten am 7. Juni 1970 die Schwarzenbach-Initiative ab. Diese zielte darauf ab, dass die ausländischen Staatsangehörigen höchstens 10 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen sollten.
Die Vorlage ging von der äusseren Rechten aus, von James Schwarzenbachs «Nationaler Aktion». Auch Gewerkschaftler und Sozialdemokraten unterstützten sie.
Einwanderungsskepsis von links
55 Prozent der Mitglieder des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes hätten die Initiative unterstützt, sagt der Historiker Damir Skenderovic.
«Bereits in den späten 50er-Jahren wurde in Gewerkschaftskreisen der Überfremdungsdiskurs propagiert. Man brauche nicht so viele Ausländer und diese passten ohnehin nicht in die Schweiz», so Skenderovic. Die Gewerkschaften fürchteten zudem die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, Stichwort «Lohndumping».
Die Asylfrage
In den 80er-Jahren tauchte auf der Traktandenliste neu die Asylfrage auf. SP und Gewerkschaften setzten sich für die Asylsuchenden ein. Meist im Widerspruch zur tonangebenden Mitte-rechts-Politik auf Bundes- und Kantonsebene.
In den 90er-Jahren wurde die europäische Integration vorangetrieben, besonders die Personenfreizügigkeit. «Da mussten sich die Gewerkschaften ebenfalls positionieren», sagt Historiker Skenderovic. Sie taten dies nun stärker zu Gunsten aller Arbeitnehmer, nicht nur derjenigen mit Schweizer Pass.
Rechte Radikalisierung
Die einwanderungsskeptische Seite radikalisierte sich, Migration wurde zum Dauerthema. Mehrere einschlägige Initiativen wurden in den 70er- und 80er-Jahren abgelehnt, 1977 etwa die Begrenzung der Einbürgerungen auf 4'000 pro Jahr.
1981 fand allerdings auch ihr Gegenstück keine Mehrheit, die «Mitenand-Initiative» aus christlichen und linken Kreisen. Die politische Entwicklung in der Schweiz sei bemerkenswert, stellt Skenderovic fest.
«Es gibt eine Kontinuität seit den 1960er-Jahren: die ‹Nationale Aktion›, die ‹Republikaner›, die ‹Autopartei›, die ‹Lega dei Ticinesi›. Und in den 90er-Jahren die gewandelte SVP, die die migrationspolitische Agenda dieser Splitterparteien übernommen hat.»
Die Schweiz sei damals «zur Avantgarde des Rechtspopulismus» geworden, konstatiert Skenderovic: «Es gab in keinem anderen europäischen Land so früh solche Parteien, die in den Parlamenten und später auch auf Regierungsebene Einfluss ausgeübt haben.»
Migration, Asyl und Europa
Mit diesen Themen festigte die SVP in den 90er-Jahren ihren Aufschwung und wurde zur wählerstärksten Partei. Aber sie besitzt nicht das Monopol auf diese Themen.
«In den letzten 20, 30 Jahren haben andere Parteien einiges von der SVP übernommen, beziehungsweise sich angepasst. Auch die Asylpolitik des Bundesrats nimmt Forderungen und Positionen der SVP aus den 90er-Jahren auf. Vieles davon ist im Mainstream gelandet.»
Als Beispiel nennt der Historiker die im Jahr 2000 abgelehnte «18-Prozent-Initiative». «Die führende Figur des Initiativkomitees war der spätere FDP-Präsident Philipp Müller», bemerkt Skenderovic.
Punktuellere Vorlagen
Die Migrationsskeptiker haben ihre Taktik immer wieder neu justiert: Statt Maximalzahlen für Ausländer festzulegen, verlegten sie sich – ausser bei der 2014 angenommenen «Masseneinwanderungsinitiative» – meist auf punktuellere Vorlagen: wie etwa das Minarett- oder Burkaverbot, die «Durchsetzungsinitiative».
Heute haben 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung, auch viele mit Schweizer Staatsangehörigkeit, einen «Migrationshintergrund», sind also selbst im Ausland geboren oder haben mindestens einen Elternteil ausländischer Herkunft. Auch sie wählen.
Ist deshalb der Widerstand gegen die Migration nun weniger auf die Anzahl fokussiert? «Ja», sagt Damir Skenderovic und präzisiert: «Schaut man die 90er-Jahre an, sieht man, dass man hier nicht nur gegen zu viele Ausländer kämpft, sondern gegen zu viele Andere.»
Als Beispiele für die Ablehnung der «Anderen» sieht er die Islamophobie und – mit längerer Tradition – den Antisemitismus.
Die Reaktion der Anderen?
Wie die Ausländerinnen und Ausländer um 1970 auf die Schwarzenbach-Initiative reagierten, sei bisher wenig erforscht, sagt Damir Skenderovic. Die Reaktionen von Ausländervereinigungen seien eher zurückhaltend ausgefallen.
Innerhalb der Gewerkschaften mobilisierten sich italienische Arbeiter. Andere gründeten eigene Vereine oder unterhielten eigene konfessionelle Vereinigungen wie die Missione Cattolica Italiana.
So bildeten sie Enklaven in einem politischen Umfeld, das auch auf Repression setzte: Einzelne Migranten, die bei der 68er-Bewegung mitgemacht hätten, seien aus dem Land ausgewiesen worden, sagt Skenderovic. Denn bis 1988 galt ein Bundesbeschluss, gemäss dem sich Ausländer ohne C-Ausweis nur mit Bewilligung öffentlich politisch äussern durften.
Wie ist die Situation heute?
Die Gesellschaft hat sich gewandelt. Die Bevölkerung ist diverser geworden. Die Eingewanderten hätten in den westlichen Gesellschaften mittlerweile eine wichtige Position erreicht, sagt Damir Skenderovic, «nicht nur, weil sie ihre Stimme lauter erheben, sondern weil sie zur Normalität gehören».