«Auf dem Papier bin ich Schweizerin», sagt die 22-jährige Tashi Shitsetsang. «Im Herzen aber Tibeterin». Bereits als Kind hat sie zusammen mit ihren Eltern das Tibet-Institut in Rikon besucht.
Damals sei es eine Pflichtübung gewesen, erzählt die Studentin der Kommunikation. Heute gehe sie freiwillig hin, mindestens einmal im Jahr.
Neujahr in Rikon
Das Tibet-Institut ist gleichzeitig Kloster, Tempel und Kulturort. Die meisten Besucherinnen und Besucher kommen zur Neujahrsfeier nach Rikon im Tösstal. Losar heisst das Fest und findet im Februar oder Anfang März statt.
Auch Tashi Shitsetsang trifft man an Losar oft in Rikon an. «Dann treffe ich Freunde, Bekannte und Verwandte» erzählt die junge Frau. «Losar fühlt sich nur dann richtig an, wenn ich es im Tibet-Institut feiern kann.»
Religion und Kultur
Tashi Shitsetsang engagiert sich im Verein Tibeter Jugend in Europa – ein Verein, der sich politisch für ein freies und unabhängiges Tibet einsetzt. Im Verein pflegt man die tibetische Kultur und Religion.
Tashi Shitsetsang lebt den tibetischen Buddhismus. Sie bezeichnet sich aber als nicht besonders religiös. Trotzdem gibt ihr das Kloster in Rikon das Gefühl von Heimat. «Es ist die Kultur, die ich von meinen Eltern gelernt habe. Dazu gehört auch die Religion», erzählt die junge Frau.
Die Jungen von heute
Nach 50 Jahren lebt bereits die zweite, dritte oder gar vierte Generation Tibeter in der Schweiz. Längst nicht alle fühlen sich mit dem Tibet-Institut so stark verbunden wie Tashi Shitsetsang. Auch sprechen immer weniger Kinder und Jugendliche gut Tibetisch.
Das erlebt auch Karma Lobsang. Sie ist Präsidentin des Stiftungsrats vom Tibet-Institut. Zusammen mit den Mönchen unterrichtet sie dort Kinder und Jugendliche in tibetischem Buddhismus.
Deutsch und Tibetisch
«Viele Kinder sprechen viel besser Deutsch als Tibetisch», weiss Karma Lobsang aus Erfahrung. Damit die Jungen trotzdem etwas von der Religion ihrer Eltern erfahren, sind die Unterlagen im Buddhismus-Kurs alle auch auf Deutsch übersetzt.
Auch wenn die Jungen teilweise schlecht Tibetisch sprechen, seien sie trotzdem richtige Tibeter, betont Karma Lobsang. Ihr ist es ein Anliegen, dass auch die nächsten Generationen noch etwas von der tibetischen Kultur wissen.
Neue Pädagogik
Wichtig war es Karma Lobsang, die Wünsche der Kinder zu kennen. Bei einer Umfrage kam heraus, dass sie sehr wohl etwas über den tibetischen Buddhismus lernen wollen – aber ohne Frontalunterricht.
Die Mönche mussten sich anpassen. Ihre Ausbildung absolvierten sie in einem indischen Kloster. Frontalunterricht und lange, intellektuelle Diskussionen prägten dort den Lernstil. Nun müssen sie die philosophischen Texte so einfach erklären, dass Kinder und Jugendliche sie verstehen.
Was die Zukunft bringt
«Wir haben viel miteinander diskutiert», erzählt Karma Lobsang. Die Mönche seien zuerst skeptisch gegenüber der westlichen Pädagogik gewesen. «Ich habe ihnen dann aber versichert, dass die Kinder schon das Richtige lernen», sagt die Pädagogin mit einem Schmunzeln.
Das Tibet-Institut feiert dieses Jahr sein 50-Jahr Jubiläum. Nach den Feierlichkeiten muss man aber auch über die Zukunft nachdenken.
Neuer Standort?
Das Tibet-Institut Rikon liegt idyllisch mitten im Wald. Doch der Weg dorthin ist weit. Viele Tibeter gehen selten ins Kloster, meist nur an den Feiertagen.
«Das Kloster in Rikon bleibt auf jeden Fall bestehen», betont Karma Lobsang. Doch über eine Zweitstelle müsse man nachdenken.