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Hannah Arendt – von der Leidenschaft des Denkens
Aus Kontext vom 08.04.2021. Bild: KEYSTONE / EPA DPA / STR
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60 Jahre Eichmann-Prozess Hannah Arendt ist aktueller denn je

Vor 60 Jahren schockierte Hannah Arendt mit ihrer These von der «Banalität des Bösen». Unbestritten ist sie bis heute nicht.

Die Empörung war gross, als die Publizistin und Philosophin Hannah Arendt 1963 ihr Buch «Eichmann in Jerusalem – Ein Bericht von der Banalität des Bösen» veröffentlichte. Freunde und Bekannte wandten sich von ihr ab. Grosse Teile der Öffentlichkeit fielen über sie her. Was war passiert?

In ihrem Bericht über den Jerusalemer Eichmann-Prozess von 1961, hatte Hannah Arendt Adolf Eichmann den ehemaligen SS-Obersturmbannführer und Mitorganisator der Deportationen von Millionen von Juden, als banalen Funktionär beschrieben.

Als ideologiefreien Beamten, der einfach seinen Job erledigt hatte – sonst aber ein normaler Mensch und Familienvater gewesen sei.

Der Schock

Das war schockierend. Schockierend für die jüdische Öffentlichkeit, die in Eichmann tatsächlich das blutrünstige Monster sah, wie der Chefankläger in Jerusalem ihn dargestellt hatte.

Schockierend war es auch für die deutsche Öffentlichkeit, die sich in Eichmanns Pose der Pflichterfüllung wiedererkannte und sich auf einmal mit der eigenen Verantwortung konfrontiert sah.

Halbherzige Aufarbeitung

Tatsächlich betrieb die damalige Bundesrepublik die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen äusserst halbherzig. Als fatal erwies sich insbesondere der Versuch, diese Verbrechen mittels Strafgesetzbuches von 1871 ahnden zu wollen.

Das führte dazu, dass NS-Verbrecher nur dann belangbar waren, wenn sie ihre Gräueltaten selbst und eigenhändig verübt hatten – etwa bei Gewaltexzessen in KZs. Freisprüche oder lächerlich milde Strafen wie in den Frankfurter Auschwitz-Prozessen zu Beginn der 1960er-Jahre waren die Folge.

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Der Frankfurter Auschwitz-Prozess und seine Folgen
aus Zeitblende vom 29.08.2015. Bild: Keystone
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Überzeugende Tonbandaufnahmen

Was Eichmanns Pose betrifft, so gibt es tatsächlich neue Erkenntnisse, die in eine andere Richtung gehen als Hannah Arendts Sicht Dinge. Sie widersprechen auch Eichmanns Inszenierung vom Befehlsempfänger in seinem Jerusalemer Glaskasten während des Prozesses.

Vor allem Bettina Stangneths Studie «Eichmann vor Jerusalem – Das unbehelligte Leben eines Massenmörders» von 2011, in der die deutsche Historikerin und Philosophin Tonbandaufnahmen aus Buenos Aires auswertet.

Eichmanns Geständnis

Auf den Aufnahmen unterhält sich Eichmann mit dem niederländischen Kriegsberichterstatter und ehemaligen SS-Mann Willem Sassen über die Rehabilitierung des Nationalsozialismus und bekennt sich zu seinen Taten.

Bettina Stangneth kommt denn auch zum Schluss, dass Eichmann alles andere als ein ideologiefreier Schreibtischtäter gewesen sei, sondern ein überzeugter Nationalsozialist und Antisemit.

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Macht und Gewalt
Aus Kulturplatz vom 10.03.2021.
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Eigenständig denken, Verantwortung tragen

Hannah Arendts Leistung deswegen zu schmälern, wäre trotzdem falsch. Es wäre auch fatal. Denn Hannah Arendt hat mit ihrer These auf das Verhältnis zwischen Totalitarismus und Mitläufertum hingewiesen und die Mitverantwortung jedes einzelnen angesprochen.

Das zeigt sich auch an ihrer mehrfach formulierten Forderung, selbst zu denken und sich von Gruppenmeinungen fernzuhalten. Daran hapert es zur Zeit. Das sieht man nicht nur am Aufkommen populistischer Strömungen, sondern auch an einer verhängnisvollen Rückkehr zur Ideologie auf Kosten einer selbst durchdachten eigenen Meinung.

Sollte uns das bekannt vorkommen, wäre es an der Zeit, mal wieder Hannah Arendt zu lesen. Es müssen ja nicht unbedingt die komplexen politischen Schriften sein. Es reichen auch ihre Gedichte.

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 09.04.2021, 17:58 Uhr.

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