«Die ersten sieben Jahre meiner Ehe fragte ich mich, wo ich da hingeraten war. Die nächsten sieben Jahre versuchte ich, einen Weg hinauszufinden», schreibt Tina Turner in ihrer Autobiografie «My Love Story».
Hineingeraten in diese tragische «Love Story» ist sie mit 17. Damals lernte sie Ike Turner kennen, einen erfolgreicher Musiker und Frauenschwarm. Sechs Jahre später heirateten sie.
Zwei Jahrzehnte Leiden
Ikes schlechte Launen und seine gewalttätige Seite kannte Tina Turner schon lange vor der Hochzeit. Früh fing er an, sie zu schlagen und zu vergewaltigen. Zwei Jahrzehnte lang erduldete Tina Turner die Gewaltausbrüche ihres Gatten.
Schliesslich nutzte sie die Gelegenheit, als Ike im Hotelzimmer vor einem Konzert in Dallas eingeschlafen ist. Sie packte das Allernötigste und rannte weg. Das war an einem Tag im Juli 1976.
Ein gewaltiger Kraftakt
Wie Tina Turner erging es in der damaligen Zeit vielen Frauen. Bis in die frühen 1970er-Jahre hätte die Gesellschaft es als das Recht des Mannes angesehen, seine Frau zu schlagen, sagt Susanne Nef. Sie ist Sozialwissenschaftlerin und Genderforscherin an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). Natürlich war ein solches Recht nirgendwo verankert.
Tina Turner konnte sich aus den Fängen ihres Mannes befreien. Das war ein gewaltiger Kraftakt, den nicht viele Opfer von häuslicher Gewalt auf sich nehmen.
Das Schweigen der Frauen
«Man muss betonen, was für eine Vorbildfunktion sie hat. Tina Turner hat sich dafür entschieden, das perfekte Bild von ihr zu zerstören und die Situation, in der sie über viele Jahre hinweg gelebt hat, öffentlich zu machen.» Das gelte es zu würdigen, sagt Susanne Nef.
Auch heute noch. Und das, obwohl die Gesellschaft mittlerweile häusliche Gewalt anders wertet als noch vor 50 Jahren. Bis heute sprechen Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, kaum über ihr Schicksal. Denn heute gehöre es zur Norm, dass Frauen emanzipiert seien, sagt Nef. Opfer zu sein, sei deshalb stigmatisierend.
Zudem müssten sich Frauen oft in der Gesellschaft dafür rechtfertigen, weshalb sie sich die Gewalt gefallen liessen und den Partner nicht verlassen hätten. «Auch Tina Turner musste dazu stehen, dass sie 16 Jahre lang nicht die Kraft hatte, diese Beziehung zu beenden. Darum fällt es vielen schwer, darüber zu sprechen. Weil man dann als versehrte Frau gilt. Oder als eine, die nicht emanzipiert oder eben schwach sei.»
Neuanfang bei Null
Tina Turner hat alle diese Bedenken überwunden. Sie hat Ike nach 14 Jahren Ehe verlassen und hatte den Mut, öffentlich über ihr Schicksal zu sprechen. Und sie musste wieder bei Null anfangen. Mit der Scheidung verzichtete sie auf sämtliche Rechte an gemeinsamen Musikstücken.
«Sie wusste nicht, ob sie es alleine schaffen kann. Oder ob sie so auch ihren gesamten Lebensstandard verliert und ihre Marke, ihr öffentliches Gesicht», so Susanne Nef.
Sie hat es geschafft. Mit dem Album «Private Dancer» wurde sie 1984 endgültig zum Superstar. Bereits die erste Single-Auskopplung kletterte auf Platz eins der Billboard-Charts: «What’s Love Got to Do With It».
Was hat das mit Liebe zu tun? Diese Frage wird sich Tina Turner wohl oft gestellt haben.