Ariana Grande tut es, Jim Carrey tut es, Oprah Winfrey schwört darauf: Wenn man seine Wünsche nur oft genug formuliert («Ich werde Hollywoodstar»), dann gehen sie in Erfüllung. So zumindest lautet das Prinzip des Manifestierens.
Nicht nur Stars und Influencerinnen präsentieren ihre Traumvillen, die sie kraft Manifestation bewohnen. Auch normale Menschen versuchen etwa ihren «Crush» zu erobern, indem sie ihren Wunsch mehrmals täglich aussprechen oder notieren.
Wunschdenken als Strategie
Angefangen hat der Trend 2006 mit dem Selbsthilfebuch «The Secret». Darin bewarb die Autorin Rhonda Byrne die Macht der positiven Gedanken.
Den Grundpfeiler für diese Denk- und Wunschweise hatte aber die New-Thought-Bewegung im 19. Jahrhundert gelegt: Visualisieren und Affirmationen seien Schlüssel zum Glück – so umschreibt die NZZ das Phänomen.
«Ich schaffe das, ich muss es nur genug wollen», klingt nach typisch westlicher Denkweise. Das stimmt nur beschränkt, sagt die Zürcher Ethno-Psychoanalytikerin Vera Saller: «Der Mensch hat sich schon immer gewünscht, dass das Wünschen hilft» – quer durch die Zeiten und Kulturen.
Wunschbäume und Wundertränke
In der Türkei stehen oft «Wunschbäume» in der Nähe von Heiligtümern. «Menschen befestigen Bänder an deren Ästen und hoffen damit auf die Erfüllung ihrer Träume», erklärt Saller. Oder Heilrituale im islamischen Kulturbereich: Ein kranker Mensch richtet sich an einen Heiler mit dem Wunsch, gesund zu werden. Der Heiler schreibt darauf eine Koransure auf einen Zettel, löst diesen in Wasser auf und gibt dem Klienten die Flüssigkeit zum Trinken.
«Schrift und Sprache haben die Menschen schon immer dazu verführt zu glauben, dass man etwas schon bewältigt hat, wenn man es ausspricht oder es sich ganz stark wünscht», so Saller. Auch das Beten zähle zu einer Form des Manifestierens.
Gemeinschafts- vs. Ego-Wünsche
Trotzdem: Das islamische Heilritual und der Hashtag #manifesting sind nicht das Gleiche. «In anderen Kulturen, wo die Magie im Alltag verankert ist, wird das Manifestieren von einem Kollektiv getragen», sagt die Expertin.
Da habe vielleicht die Grossmutter einen «guten Rat» gewusst, wenn die Enkelin unsterblich in einen heiratsfähigen Mann verliebt war. «Eine Mehrzahl geht davon aus, dass es wirkt.» Im Westen sei das Manifestieren individualisiert, fast schon aus der Gemeinschaft herausgerissen.
Unethisches Wunsch-Geschäft
Sowieso entspräche das Phänomen dem fragwürdigen Wunsch nach stetiger Verbesserung. «In der Psychoanalyse ermutigen wir die Leute zwar, zu ihren Wünschen zu stehen», erklärt Saller. «Aber wir versuchen auch, sie damit zu versöhnen, dass es auch mal ein Nein gibt. Das wäre die angestrebte Reife.»
Wenn ein Manifestations-Coach jemandem einrede, man müsse seine Wünsche nur genügend oft formulieren, damit sie sich erfüllen, sei das nicht nur Geldmacherei, sondern auch schlicht unethisch. Was passiert, wenn der Wunsch sich nicht erfüllt? Ist man dann selbst schuld, hat man zu wenig gut manifestiert?
Unglückliche Realisten
Ein bisschen Wunschdenken gehöre jedoch zum Leben dazu. Es mache uns sogar zum gesunden Menschen, so Saller: «Eine depressive Person sieht die Welt realistischer als der Durchschnittsmensch.» Wenn man keinen Funken Hoffnung zulasse, werde man unglücklich.
Manifestieren muss nicht unbedingt sein. Aber zu einem guten Leben gehören Wünsche und Träume dazu.