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Als letztes Land in Europa «Das Weib schweige»: Liechtensteins spätes Frauenstimmrecht

1971 führte die Schweiz das Frauenstimmrecht auf nationaler Ebene ein. Europäisches Schlusslicht war jedoch Liechtenstein: Erst 13 Jahre später, am 1. Juli 1984, gewährte das Fürstentum seinen Frauen das Stimmrecht – und der Weg dahin war steinig.

Als in der Schweiz am 7. Februar 1971 die Korken knallten und die Frauen auf ihr neu gewonnenes Stimm- und Wahlrecht anstiessen, herrschte auch im benachbarten Liechtenstein Aufbruchstimmung. Auch im Fürstentum war das Stimmrecht für Frauen seit Jahren ein Thema.

Umso grösser war der Schock, als sich am 28. Februar, drei Wochen nach der Abstimmung in der Schweiz, die Stimmbürger Liechtensteins – ausschliesslich Männer – mit 51  Prozent gegen das Frauenstimmrecht aussprachen. Selbst der damalige Erbprinz Hans Adam äusserte seine Verwunderung: «Eigentlich ist das ein Kuriosum, dass der Fürst sich dafür ausgesprochen hat, ebenso seine ganze Familie, die Regierung, das Parlament, beide Parteien und trotzdem die Mehrheit der Männer immer Nein gestimmt hat.»

«Wir schämen uns für euch»

Als einige Tage später Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums einen Protestmarsch durch Vaduz veranstalteten, kam es zu wüsten Szenen. Teilweise maskierte Zuschauer rissen Plakate nieder mit Aufschriften wie «Wir schämen uns für euch» oder «Wir zweifeln an der männlichen Vernunft.»

Menschen protestieren mit Schildern und Regenschirmen vor einem steinernen Gebäude.
Legende: In Vaduz wurde nicht nur gesittet demonstriert, wie auf diesem Bild zu sehen, es flogen faule Eier und Feuerwerkskörper. Liechtenstein Institut

Weil für eine Verfassungsänderung nur 81 Stimmen gefehlt hatten, legte das Parlament schon zwei Jahre später die Frauenfrage wieder vor. Doch diesmal waren sogar 55,9 Prozent der Männer dagegen, darunter auch auffallend viele Erstwähler. Gründe für die späte Einführung des Frauenstimmrechts gab es einige in Liechtenstein.

Männer hatten Angst vor Frauen

Das Land war katholisch, konservativ geprägt. Im damit verbundenen patriarchalen Frauenbild legte man wenig Wert auf Ausbildung der Mädchen. Als Folge bildete sich lange keine Frauenrechtsbewegung. Viele Männer fürchteten zudem, dass eingeheiratete Ausländerinnen, die durch Heirat mit einem Liechtensteiner bis 1984 automatisch das Bürgerrecht erwarben, bald das Sagen haben könnten. Und schliesslich fehlten schlicht die fortschrittlichen Städte und die welschen Kantone, sagte Helene Marxer, eine der Mitbegründerinnen der Aktion Dornröschen, eine Organisation, die nun zunehmend politisch aktiv wurde.

Uneingeschränktes Frauenstimmrecht in weiteren Ländern

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  • 1906 Finnland
  • 1913  Norwegen
  • 1915  Dänemark
  • 1915  Island
  • 1917  Russland
  • 1917  Estland
  • 1918  Lettland
  • 1918  Deutschland
  • 1918  Österreich
  • 1918  Polen
  • 1919  Niederlande
  • 1921  Schweden
  • 1928  Vereinigtes Königreich
  • 1931  Spanien
  • 1934  Türkei
  • 1944  Frankreich
  • 1945  Ungarn
  • 1945  Slowenien
  • 1945  Bulgarien
  • 1946  Italien
  • 1948  Belgien
  • 1952  Griechenland
  • 1960  San Marino
  • 1962  Monaco
  • 1971  Schweiz*
  • 1984  Liechtenstein

*Sonderfall Schweiz: Erst im Frauenstimmrecht-Entscheid vom 27. November 1990 hielt das schweizerische Bundesgericht einstimmig in öffentlicher Beratung fest, dass den Frauen im Kanton Appenzell Innerrhoden die politischen Rechte zuständen. An der nächstfolgenden Appenzell Innerrhoder Landsgemeinde vom 28. April 1991 nahmen dann erstmals Frauen teil.

Ihre Klage vor dem Staatsgerichtshof wurde abgewiesen, unter anderem mit einem Zitat aus dem Neuen Testament «Das Weib schweige in der Gemeinde», sagt der Apostel Paulus dort. Doch die Dornröschen-Aktivistinnen schwiegen nicht. Zwölf von ihnen zogen bis zum Europarat und beklagten sich dort öffentlichkeitswirksam über die Geschlechterapartheid im Fürstentum.

Alle guten Dinge sind drei

Der aussenpolitische Druck wirkte. Schon 1976 hatte eine Verfassungsänderung die Einführung des Frauenstimmrechts auf Gemeindeebene ermöglicht, und am 1. Juli 1984 wurde das nationale Frauenstimmrecht im dritten Anlauf endlich angenommen, mit knappen 51,3 Prozent. Die Frauen reagierten eher erleichtert als euphorisch: «Wir sind froh, dass uns die Männer das gegeben haben.»

Allerdings dauerte es weitere acht Jahre, bis die Gleichberechtigung in die Verfassung aufgenommen wurde. Und erst seit 1999 gibt es ein Gleichstellungsgesetz. Immerhin hatten die Liechtensteinerinnen damit noch vor der Jahrtausendwende erreicht, was in Finnland schon seit 1906 gilt.

Radio SRF 2 Kultur, Tageschronik, 1.7.2024, 11:40 Uhr ; 

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