Der Gebetsheiler soll da weiterhelfen, wo die Schulmedizin nicht weiterweiss. Ich treffe ihn auf einer Wiese zwischen Gais und Appenzell. Anonym. Seinen Namen, Wohnort und Beruf gibt er nicht preis. Seine «Kräfte» könnten sonst «verloren gehen».
Meine Mitmenschen werden mich in den nächsten Tagen meiden. Ich rieche nach Gülle. Am Tag zuvor hat der Bauer den verabredeten Treffpunkt mit Gülle überzogen. Den Gebetsheiler stört es nicht.
Der Gebetsheiler löscht Brände
Seinen Appenzeller Dialekt verstehe ich kaum: «För Hitz und Brand tue», «Warze vertriibe», «Bluet stölle». Hitze umschreibt eine Infektion.
«Wenn etwas geschwollen ist, ein Zahn zum Beispiel, dann kannst du mit ‹Hitz und Brand› lindern, du kannst die Hitze wegnehmen. Sobald die Hitze weg ist, kann es heilen», erklärt der Gebetsheiler. Mit «Brand lindern» meint er Verbrennungen oder Entzündungen heilen.
Vom christlichen Glauben inspiriert
Wie heilt er konkret? «Hitz und Brand» behandelt er aus der Ferne. Dafür benötigt er den Vornamen und das Geburtsdatum der Patienten. Warzen oder Flechten muss er sehen und berühren. Dann spricht er seine «Gebete». «Ich benutze gute Worte wie ‹Heiliger Geist›, ‹Jesus Christus› und ‹die Dreifaltigkeit›.»
Die guten Worte sind vom christlichen Glauben inspiriert. Der Gebetsheiler sieht sich aber nicht als Seitenwagen des Pfarrers. «Früher hatten die Pfarrer keine Freude an uns, unsere Tätigkeit war für sie Hexerei.» Ein Pfarrer habe ihn einmal gefragt, ob er einem Menschen oder einem Tier auch Schlechtes zufügen könne. Er habe geantwortet, das wisse er nicht und habe es auch nie getan.
Werbung in eigener Sache kann sich der Gebetsheiler sparen. Sein Name wird von Mund zu Mund weitergegeben.
Zum Ehrenkodex seiner Zunft gehört: Gebetsheiler nehmen kein Geld, vielleicht mal eine Aufmerksamkeit, einen Korb voll Äpfel oder ein Stück Käse. Ihre Fähigkeit und die Heilsprüche geben die Gebetsheiler von Generation zu Generation weiter.
Die Schweiz: ein Eldorado für Heiler
Druiden, Schamanen und heilende Frauen und Männer gibt es in allen Kulturen. Gleichwohl ist die Schweiz ein besonderes Eldorado für Heilerinnen und Heiler. Es gibt Gesundbeterinnen, Geistheiler, Einrenker, Hypnosetherapeutinnen oder Pendler. Die einen arbeiten mit Worten und Gebeten, Einrenker wie Masseure, wieder andere legen Hände auf oder nehmen in Gedanken mit den Patientinnen und Patienten Kontakt auf.
«In der Schweiz leben etwa 30'000 bis 50'000 Menschen mit einer esoterischen Heilerausbildung», sagt Georg Otto Schmid. Der Religionswissenschaftler leitet die evangelische Informationsstelle «relinfo».
Aber: Nur zehn Prozent von ihnen praktizieren. In der Deutschschweiz sind rund 3'400 Heilpraxen und Heilpraktiker in einem Verzeichnis eingetragen. Zum Vergleich: In Deutschland sind es etwa gleich viele bei zehnmal mehr Einwohnern.
Wohlstandsphänomen Esoterik
Woran liegt das? Die Schweiz ist in Religionsfragen liberal, den Grundstein bildet die Religionsfreiheit in der Bundesverfassung seit 1848. Im Appenzellerland gehen die Menschen ganz selbstverständlich sowohl zum Arzt und auch zum Heiler. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden ist die Naturheilpraxis traditionell weniger reguliert. Dies lockt Heiler an.
Georg Otto Schmid ergänzt: «Esoterik ist ein Wohlstandsphänomen.» Für jedes Problem ist eine individuelle Lösung und Behandlung im Angebot, die muss man sich leisten können. Mit anderen Worten: Wer Geld hat, kann sich seine Seele individuell massieren lassen.
Mit dem Pendel Ursachen aufspüren
Beda Rechsteiner treffe ich in einer Alphütte oberhalb von Jakobsbad im Kanton Appenzell Innerrhoden. Der Boden in der Stube knarzt, im Holzofen knistert ein Feuer. Rechsteiner behandelt Menschen, wenn es «rumort», körperlich oder seelisch. Jede Krankheit hat für ihn eine Ursache. Dieser spürt er im Gespräch und mithilfe seines Pendels nach. Dann überträgt er Energie, seine Energie.
Beda Rechsteiner hat als Postbote, später als Bauer gearbeitet – und nebenher immer auch als Geistheiler. Rechsteiner glaubt nicht an Wunder, aber an die Möglichkeiten der Menschen, sich selbst zu verändern. Er könne lediglich einen Rat oder einen Anstoss geben. «Wenn die Krankheit dein Freund ist, kann ich nichts ausrichten.»
Blockaden lösen
Bei mir lässt Beda Rechsteiner das Pendel über der rechten Hand schwingen. Er lokalisiert eine Blockade und meint: «Ich löse sie mit meiner Energie. Du solltest es bereits merken. Wenn du rausgehst, bist du bereits ein neuer Mensch.»
Ehrlich gesagt, habe ich davon nichts gespürt. Ich füge aber hinzu, dass die Kräuterfachfrau Pirmina Caminada aus dem Bündner Val Lumnezia meinen chronisch entzündeten Ellbogen vor zwei Jahren mit Räuchern behandelt hat. Die Beschwerden sind seither weg.
Häuser von unerlösten Seelen befreien
Es «rumpelt» auch in Häusern, stellt Geistheiler Beda Rechsteiner fest. Dann befreie er die Häuser von «Untermietern, die nichts bezahlen». Und meint damit unerlöste Seelen von Verstorbenen, die nach dem Tod nicht loslassen können. Die Technik habe ihm einst ein Kapuzinerpater beigebracht: Eine Kerze anzünden und beten, dass der zuständige Engel die unerlöste Seele abholt.
Und wenn ich nicht an Seelen glaube? «Ich schwatze niemanden etwas auf», sagt Rechsteiner trocken und fügt hinzu: «Es gibt heute noch Leute, die Pendeln als teuflisch bezeichnen». Darum hätten die Heiler angefangen, Gebete zu verwenden. Das habe die Kirche akzeptiert.
Seine besondere Begabung habe er von seiner Urgrossmutter geerbt, ist Beda Rechsteiner überzeugt. Sie hatte ihm auch ein Büchlein mit handgeschriebenen Gebeten hinterlassen. Er fügt hinzu: «Ich brauche diese Gebete nicht. Ich kann auch so helfen.»
Heilerinnen beerben Kirche
Die römisch-katholische Kirche hat das Heilwesen lange Zeit integriert. Die Bibel berichtet, wie Jesus von Nazareth reihenweise Dämonen ausgetrieben, Tote zum Leben erweckt und Aussätzige und Blinde geheilt hat. Priester und Ordensleute haben sich lange in diese Heiltradition eingereiht.
Kräuterpfarrer Johann Künzle (1857-1945) wirkte als römisch-katholischer Pfarrer und Naturarzt. Er popularisierte das Wissen um die Heilwirkung von Pflanzen. Seine Kräutermischungen hat er in die ganze Welt vertrieben.
Ordensschwestern pflanzen in ihren Klostergärten bis heute Kräuter und sammeln Wildpflanzen. Mit Heilpflanzen werden traditionell Erkältungen, Entzündungen oder Verdauungsbeschwerden behandelt. Der Einfluss der römisch-katholischen Kirche nimmt jedoch ab, weltliche Heiler treten das Erbe an.
Mit Hypnose gegen Übergewicht
Nicole Baumgartner arbeitet mit Hypnose. Sie behandelt Patientinnen und Patienten mit Angststörungen und Menschen, die ihr Gewicht reduzieren oder sich das Rauchen abgewöhnen wollen. Die Hypnosetherapeutin arbeitet in Frauenfeld und sieht sich in den Fussstapfen von Franz Anton Mesmer.
Die Therapieräume von Nicole Baumgartner sind proper eingerichtet. Bei meiner Hypnosesitzung schwebe ich nicht über dem Boden und verliere auch nicht das Bewusstsein. Es erinnert mich eher an die Aufmerksamkeit in meiner täglichen Meditationspraxis.
Nicole Baumgartner erklärt: «Hypnose ist ein natürlicher Zustand, ein veränderter Wachbewusstseinszustand. Es ist fokussierte Konzentration.» Was unterscheidet die Behandlung unter Hypnose von einer Gesprächstherapie? Nicole Baumgartner: «In Gesprächen arbeitet das Bewusstsein des Klienten. Wir steigen eine Etage tiefer ins Emotionszentrum und bearbeiten die emotionalen Verknüpfungen.»
Professionell und smart heilen
Nicole Baumgartner steht beispielhaft für eine jüngere Generation von Heilerinnen. Diese professionalisieren das Heilen. Sie absolvieren eine Therapieausbildung und kombinieren sie mit ihren speziellen Begabungen und «Kräften». Ältere Heiler hingegen arbeiten meist ehrenamtlich und im Nebenberuf.
Hauptsache es hilft, sagen sich viele Menschen, die zum Heiler gehen. Was spricht dagegen? Georg Otto Schmid von «relinfo» weist auf die Gefahr der persönlichen Abhängigkeit und von Endlostherapien hin. Es gebe schliesslich mehr Anbieter als Kunden auf diesem Markt. Vereinzelt gebe es Fälle von überrissenen Honoraren und sexuellen Übergriffen.
Bei meinen Begegnungen hatte ich den Eindruck, dass Heilerinnen und Heiler in erster Linie versuchen, Motivation und Selbstheilkräfte der Klienten anzuzapfen. Sie massen sich nicht an, Wunder zu wirken.