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Gegenswartskunst in der Kirche – oder wie eine Wolke in die Basler Predigerkirche kam
Aus Kultur-Aktualität vom 22.08.2022. Bild: ZVG/Rudolf Messerli
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Alternative Kirchenkunst Warum in einer Basler Kirche eine Wolke schwebt

Als die christkatholische Gemeinde Basel neue Kunst für die Predigerkirche suchte, war eines von Anfang an klar: Die Gemeinde wollte kein Kreuz im Chorraum. Erst recht keines mit blutüberströmtem Christus.

Deshalb schrieb sie einen Wettbewerb aus. «Licht und leicht» sollte das neue Kunstwerk sein. Mehr Vorgaben machte die Gemeinde nicht, wie die Diakonin Karin Schaub erklärt, die auch in der Jury war.

Zeitgenössische Kunst und Spiritualität

Erwünscht war ein zeitgemässes Kunstwerk, das der Lichtsymbolik von Ostern folgt, nicht dem Dunkel von Karfreitag. Schliesslich ist der Chor fast jeder Kirche nach Osten ausgerichtet, zum Licht der aufgehenden Sonne, einem Christussymbol.

Kirchschiff vor blauem Himmel
Legende: Nach Osten ausgerichtet: Die Basler Predigerkirche liegt in der Nähe des Uni-Spitals und stammt aus dem 13. Jahrhundert. Wikimedia Commons/Basler24

Das Kunstwerk sollte diese Tatsache vermitteln - und dabei für alle spirituell anschlussfähig sein, auch für agnostische Menschen und Angehörige anderer Religionen. Schliesslich liegt die gotische Predigerkirche mitten in Basel, direkt neben dem Uni-Spital.

Am Ende erhielt die Bündner Künstlerin Ursula Palla den Zuschlag. Seit Kurzem «schwebt» ihr Werk, eine Glaswolke aus zahlreichen mundgeblasenen Elementen, im Chorraum. Dabei bezog Palla die Lage und Geschichte der Predigerkirche als Spitalkirche mit dem berühmten «Totentanz» mit ein.

«Kirchgebäude in Städten werden immer wichtiger», ist die Künstlerin überzeugt, «als Orte der Ruhe, an dem man innehalten und die Gedanken schweifen lassen kann.» Für sie sei zentral, dass alle, die von der Strasse oder vom Spital in die Kirche kommen, etwas mit der Wolke verbinden können.

Eine Wolke aus Glaselementen hängt in einem Kirchen-Chor
Legende: Die Wolke im Chorraum: Das 150 Kilogramm schwere Kunstwerk von Ursula Palla besteht aus 300 mundgeblasenen Einzelelementen. Rudolf Messerli

Die Wichtigkeit der Wolke

Die Wolke hat als Wasserspeicher existentielle Bedeutung für das Leben. Während der jüngsten Trockenphase spürten das alle. Drum sei es geradezu mystisch gewesen, erzählt Palla, dass just ein Wolkenbruch kam, als sie die 150 Kilogramm schwere Glaswolke im Chor der Kirche hochzogen.

Wolken durchziehen die Kunstgeschichte: Sie füllen Kirchendecken, wabern durch Naturgemälde und türmen sich bis ins Abstrakte. Mit dieser Wolkenkunstgeschichte im Kopf wählte Palla den transparenten Werkstoff Glas.

«Glasfenster bringen seit der Gotik Licht und Himmel in die Kirche», erklärt sie. «Und Glasfaserkabel sorgen heute für digitalen Datenfluss und Kommunikation, dank der Cloud.»

Mittlerin zwischen Himmel und Erde

Auch in der Bibel steht die Wolke für Kommunikation, nämlich diejenige zwischen Himmel und Erde, zwischen Transzendentem und Irdischen. Gott spricht aus der Wolke und verhüllt sich zugleich in ihr.

«So schiebt sich die Wolke zwischen uns und das Göttliche und ist doch Mittlerin zwischen Himmel und Erde», erklärt die Diakonin Karin Schaub.

Gemälde: Wolken vor blauem Himmel
Legende: Wolken bilden eine Konstante der Kunstgeschichte. Dafür ist diese «Wolkenstudie» des britischen Malers John Constable von 1821 ein gutes Beispiel. Wikimedia Commons / Google Art Project

Gemeinschaftsprojekt aus Einzelkugeln

Predigtthemen werden der christkatholischen Gemeinde mit Blick auf diese Wolke also nicht ausgehen. Sie symbolisiert auch ihre Gemeinschaft: Die Glaswolke wurde nämlich aus 300 Einzelkugeln zusammengegossen. Für jede einzelne haben die Gemeindemitglieder gespendet. Es ist nun «ihre» Schäfchenwolke.

Die Vieldeutigkeit von Pallas Werk macht es nicht nur theologisch, sondern auch ästhetisch und existentiell anschlussfähig. Die «Wolke» ist ein Stück Kirchenkunst, das über ihre Zeit hinaus in die Zukunft weist.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 22.08.2022, 7:30

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