Im Laufe zahlreicher Arbeitsreisen durch Westafrika entdeckte der Verleger und Architekt Philipp Meuser die schillernde Vielfalt afrikanischer Architekturen, die bis dato in der Fachliteratur kaum Erwähnung findet. Meuser liess Taten folgen und koordinierte 350 Autorinnen und Autoren zu einem verlegerischen Grossprojekt.
Herausgekommen ist ein Architekturführer, der 49 unterhalb der Sahara gelegene, afrikanische Länder historisch und aktuell beleuchtet. Für jedes Land gibt eine Einführung in die vor Ort recherchierte Bau- und Kulturgeschichte. Je nach Grösse der Städte werden zehn bis 35 herausragende Gebäude der wichtigsten Städte beschrieben und abgebildet.
Schutzräume gegen Sonne und Löwen
Das verbindende Element afrikanischer Ur-Architektur wurzelt in der archaischen Schutzfunktion gegen Witterung, Kälte und wilde Tiere. Diese Form der Architektur hat sich bis heute an vielen Orten erhalten und erlebte erst durch den Einzug kolonialer Zivilisation einen Zeitsprung.
Koloniale Verwaltungs- und Sakralbauten prägten bis ins 20. Jahrhundert das Erscheinungsbild vieler Städte. Ab den 1960er-Jahren entwickelte sich im Zuge der Unabhängigkeit der sogenannte «Tropical Modernism». Dieser brachte die klimatischen Verhältnisse in Formen architektonischer Offenheit zum Ausdruck. Viele dieser Bauten orientierten sich in ihrer schmucklosen Askese an das Bauhaus oder an Ideen der Nachkriegsmoderne.
In die Weiten, statt in die Höhen bauen
Mehr und mehr treten die Mega-Städte wie Kinshasa oder Lagos in den Fokus des Interesses. In den nächsten 30 Jahren wird sich nach Schätzungen die urbane Bevölkerung des subsaharischen Afrika nahezu verdoppeln. Das sind mehr als 400 Millionen Menschen, die in die Städte ziehen werden.
Markant hierbei ist die Struktur dieser teils chaotisch anmutenden Grossstädte. Selbst Metropolen wie Lagos mit 14 Millionen Einwohnern erstrecken sich meist in der Fläche und kaum in die Höhe.
China baut in Afrika
Auffällig ist das Engagement ausserafrikanischer Bauherren:
In vielen afrikanischen Staaten sind chinesische Bauprojekte realisiert worden oder in der Planung. Neben zahlreichen Sportarenen entstanden unter der Federführung chinesischer Baufirmen ganze Städte, Eisenbahnverbindungen und Flughäfen.
Diese nicht ganz uneigennützigen Infrastrukturhilfen werden mit Rohstofflieferungen und Schürfrechten abgegolten. Philipp Meuser sieht darin ganz unverhohlen eine neue Form des Kolonialismus.
Retortenstadt Kilamba
Das bekannteste Beispiel für eine chinesische Grossinvestition ist der Wohnungsbau in Kilamba: eine Satellitenstadt, die nicht natürlich gewachsen, sondern als ganzes geplant und angelegen wurde. Die sogenannte Retortenstadt ist 30 Kilometer südlich von Luanda in Angola gelegen.
Deren Stadt-Typologie in seiner uniformen, lediglich nach Farben unterscheidbaren Gestalt, erscheint fast wie ein Fremdkörper. Unübersehbar, dass der Staat Angola mit dem Grossprojekt für 500‘000 Menschen versucht, sich zu modernisieren.
Neue Architektursprache entwickelt sich
Unter den 850 in diesem Architekturführer beschriebenen Gebäuden finden sich unzählige Projekte von Sozialbauten, Schulen, Wohnprojekten.
Diese belegen einmal mehr, dass die subsaharische Region auf dem besten Weg ist, eine eigene Architektursprache zu entwickeln, die klimatische Funktionalität mit der Kraft afrikanischer Kulturen zu verbinden versteht.