Das Wichtigste in Kürze
- Die Forscher Esther Duflo und Abhijit Banerjee sind der Ansicht, dass Armut zu wenig effizient bekämpft wird.
- Mit Experimenten untersuchen Sie, wie Menschen in Armut leben und testen Massnahmen zur Armutsbekämpfung.
- Kritiker sagen, solche Experimente mache betroffene Menschen zu Versuchskaninchen
Seit den 1970er-Jahren ist die Zahl der Menschen, die sich von extremer Armut befreit haben, signifikant gestiegen. Dennoch gibt es noch immer 815 Millionen Menschen, die an Hunger leiden. Die Zahl steigt gar weiter an, wie eine aktuelle Studie der Vereinten Nationen zeigt.
Die Armutsforscher Esther Duflo und Abhijit Banerjee sind sich deshalb sicher: Die globale Armut lässt sich effizienter bekämpfen.
Was bedeutet Armut für Betroffene?
Die beiden haben 2003 am MIT in Boston ein Forschungszentrum eingerichtet, an welchem Armut mit kontrolliert randomisierten Studien untersucht wird. Duflo und Banerjee sind überzeugt: Bevor Armut effizient bekämpft werden kann, müssen wir besser begreifen, was Armut für die betroffenen Menschen bedeutet. Erst dann lassen sich effektive Lösungen ausarbeiten.
Neue Forschungsmethoden
Kontrolliert randomisierte Studien sind bekannt aus der Medizin, angewandt auf volkswirtschaftliche Zusammenhänge sind sie aber ein Novum.
Ein Beispiel: In einer armen Region wird der Bevölkerung möglichst vieler Dörfer eine Kinderimpfung angeboten – einmal in einem attraktiven Impf-Camp, einmal wird zusätzlich ein Kilogramm Linsen abgegeben. Entscheidend sind die gleichen Bedingungen der erforschten Dörfer.
Nach einem Jahr wird geprüft, welche der beiden Impfformen erfolgreicher war. Nur so lassen sich vergleichbare und zuverlässige Daten gewinnen. Entgegen den Erwartungen vieler Wissenschaftler konnte die Studie so nachweisen, dass die Impfrate nicht primär durch die Verbesserung der Verteilungssysteme, sondern tatsächlich durch den Anreiz des Kilogramms Linsen gesteigert werden konnte.
Armut rational bekämpfen
Duflos und Banarjees Formel ist klar: Mehr Daten über die lokalen Bedingungen der Armut helfen bei ihrer konkreten Bekämpfung.
Nicht nur lassen sich so wichtige Schlüsse über das Verhalten armer Menschen ziehen, sondern auch die Effizienz angewandter Lösungsversuche zur Armutsbekämpfung testen. Die Ergebnisse solcher Forschung sind bahnbrechend.
Menschen als Versuchskaninchen?
Trotz den aufsehenerregenden Erfolgen dieser Methode werden auch kritische Stimmen laut: Es wird etwa bemängelt, dass die Experimentalsituation in randomisierten Studien die Menschen zu Versuchskaninchen degradiere, die über die Versuchsanordnung nicht aufgeklärt würden.
Solche Vorwürfe verfehlen gemäss Duflo und Banerjee den Kern ihrer Forschung. Die angewandte Methode sei Ausdruck ihres ehrlichen Interesses für Armut. Sie versuche, direkt an die Lebenswirklichkeit armer Menschen heranzukommen.
Zudem sei ihr Vorgehen transparent. Bis auf wenige Ausnahmen seien alle untersuchten Kommunen über die Versuchsanordnung informiert gewesen und hätten dieser zugestimmt.
Keine Patentlösung in Sicht
Trotz den Fortschritten in der Armutsbekämpfung bleibt die Armut ein akutes Problem. Die Armut, wie wir sie heute verstehen, könne zwar überwunden werden, aber eine Patentlösung gebe es nicht, sagt das Forscherpaar.
Ihre Empfehlung ist deshalb, in kleinen, aber wirksamen Schritten voranzukommen. Dazu gehört nebst der kontinuierlichen Forschung auch das effektive Spenden.
So können wir alle unseren Teil zu einer nachhaltigen Entwicklungshilfe leisten. Dazu verpflichte uns letztlich unsere Verantwortung als Bürger der ersten Welt.
Sendung: SRF 1, Sternstunde Philosophie, 1.10.2017, 11.00 Uhr.