Zoos spalten die Gemüter. Einige loben sie für den Artenschutz, andere kritisieren sie als reines Freizeitvergnügen. Severin Dressen leitet den Zoo Zürich und sagt: Zoos sind leichte Kritik-Beute. Doch am Ende brauche es mehr davon, um die Tiere vor den Menschen zu schützen.
SRF: Mit welchem Tier in Ihrem Zoo würden Sie gerne tauschen?
Severin Dressen: Mit dem Roten Vari. Das ist eine Lemurenart aus Madagaskar, die bei uns im Masoala Regenwald lebt, in einem der komplexesten Lebensräume, die wir im Zoo Zürich anbieten.
Und mit welchem Tier möchten Sie auf keinen Fall tauschen?
Mit keinem. Wenn ich das Gefühl hätte, bei uns im Zoo hätten wir ein Tier, hinter dessen Haltung wir nicht stehen können, dann müsste ich das sofort ändern.
Es gibt keinen Quadratzentimeter mehr auf diesem Planeten, der nicht schon durch uns Menschen beeinflusst wird.
In unserer täglichen Arbeit geht es darum, die Bedürfnisse der Tiere nach Nahrung und Sicherheit bei uns im Zoo zu stillen.
Trotzdem werden Zoos von Tierschützerinnen und Tierrechtlern immer wieder kritisiert. Zu Recht?
Ich weiss nicht, ob ich mich jetzt verteidigen muss. Ich möchte erklären. Es macht mir Freude, über unsere Arbeit zu sprechen und die Menschen aufzuklären. Aber es ist klar: Wäre ich Campaigner, würde ich mich auch auf Zoos fokussieren, nicht auf Nutztierhaltung oder darauf, wie die Menschen mit Haustieren umgehen – weil ich da zu viele Menschen wütend machen würde.
Braucht es Zoos in 100 Jahren noch?
In einer idealen Welt bräuchte es keine Zoos. Es bräuchte auch keinen Artenschutz oder Bildungsgedanken mehr, weil unsere Gesellschaften die Relevanz einer intakten Natur und der Tiere, die darin gedeihen, verinnerlicht hätten. Aber so ist es leider nicht.
Die grosse Entwicklung geht eher in die andere Richtung: dahin, dass es mehr Zoos braucht. Auch viele Nationalparks sind nichts anderes als grosse Zoos, die ihre Tierwelt mit Zäunen vor uns Menschen schützen müssen.
Stimmt es, dass nur vier Prozent der ganzen Biomasse weltweit noch wildlebende Tiere sind?
Das ist leider wahr. Es gibt keinen Quadratzentimeter mehr auf diesem Planeten, der nicht schon durch uns Menschen beeinflusst worden ist. Wir waren schon überall, und wo wir nicht waren, ist garantiert unser Abfall bereits hingekommen, etwa in Form von Mikroplastik.
Das zeigt, dass wir im Anthropozän angekommen sind, dem ersten Zeitalter, dem der Mensch den Stempel aufdrückt. Es geht also darum, die Natur optimal zu managen?
Das kann man so sagen. Zoos sind weltweit untereinander vernetzt, auch Nationalparks gehören dazu. Tiere werden vom einen zum anderen Zoo gebracht, auch um Inzucht vorzubeugen, oder sie werden in einem mit den Zoos vernetzten Nationalpark ausgewildert. Oder sie werden der Natur entnommen, um in Zoos Reservepopulationen aufzubauen.
Können Sie ein Beispiel geben?
Wir haben seit einigen Wochen in der Nähe des Flughafens Zürich ein nistendes Waldrapppärchen. Das ist eine Vogelart, die im Alpenraum seit 400 Jahren ausgestorben ist, die aber erfolgreich wieder angesiedelt wurde.
Man hat ihnen auch wieder beigebracht, dass sie in den Süden ziehen müssen. Sie haben gelernt, einem Leichtflugzeug zu folgen, und das hat sie dann über die Alpen gebracht. Diese Erkenntnis bringen sie nun der nächsten Generation bei.
Aber wäre es nicht klüger, sie zu beschützen, als im Nachhinein diesen extremen Aufwand zu betreiben?
Das ist absolut richtig.
Das Gespräch führte Wolfram Eilenberger.