Es ist ein schönes Gefühl, wenn man beim Besuch eines Bauernhofs vom «Kikeriki» eines grossen, stolzen Hahns begrüsst wird. So etwa an diesem sonnigen Oktobertag auf dem Demeterhof Tiefmoos bei Münsingen im Kanton Bern.
Die Landwirtin und gelernte Agrarökonomin Claudia Schneider lebt und arbeitet hier mit ihrer Familie. Sie hält vor allem Kühe, aber seit jeher gibt es auch Hühner auf dem Hof.
«Wenn man der weissen Hühnerschar hier zehn Minuten lang zusieht, wie sie auf der grünen Wiese herumrennen, geht es einem sofort gut», sagt Claudia Schneider.
Idylle auf dem Demeterhof
Seit gut einem Jahr haben Claudia Schneider und ihr Partner auf eine spezialisierte Hühnerzucht umgestellt: Sie halten ihre 160 Hühner in einem grossen mobilen Hühnerstall. Alle zwei Wochen bekommen die Hühner eine neue Weide unter die Füsse und den Schnabel.
Die Landwirtin setzt bewusst auch auf sogenannte Zweinutzungshühner. Das heisst, man zieht die weiblichen und die männlichen Tiere gemeinsam auf.
Die Junghähne sind nach ein paar Monaten genug gross, um geschlachtet und als Pouletfleisch verkauft zu werden. Die Hennen beginnen dann, Eier zu legen.
Effizienz-Hühner versus Demeter-Hühner
Claudia Schneider hält Bresse-Hühner, eine Rasse aus Frankreich. Es seien typische Zweinutzungshühner. «Sie legen nicht schlecht und wachsen auch gut. Aber klar, sie haben weder die Leistung eines Hybrid-Masthuhns, noch eines solchen Legehuhns. Aber diese hohen Leistungen wollen wir ja gar nicht.»
Ein hochgezüchtetes Hybridhuhn aus der Intensivhaltung legt über 300 Eier im Jahr. Hybridhuhn heisst es deshalb, weil es gezielt auf Effizienz gezüchtet wird – entweder für das schnelle Wachstum in der Pouletmast oder eben für die hohe Legeleistung.
Zum Vergleich: Die Demeter-Hühner von Claudia Schneider legen nur halb so viele Eier, rund 150 im Jahr. Und sie werden nicht wie in der intensiven Geflügelindustrie nach etwas mehr als einem Jahr getötet und ausgewechselt, sondern dürfen so lange Eier legen wie sie können.
Das sieht ganz nach einem Hühnerparadies aus. Doch diese Art der Hühnerhaltung macht nur einen Bruchteil der Schweizer Geflügelindustrie aus.
14 Millionen Hühner in der Schweiz
Um die Dimensionen in der Schweiz besser zu erfassen, ein Blick auf die Zahlen. Laut dem Aviforum, dem Kompetenzzentrum der Schweizer Geflügelbranche, werden in der Schweiz rund eine Milliarde Eier und etwa 100'000 Tonnen Pouletfleisch pro Jahr produziert.
Dafür braucht es viele Hühner. In der Schweiz gibt es fast doppelt so viele Hühner wie Menschen – über 14 Millionen. Die meisten davon befinden sich in Grossbetrieben mit mehreren tausend Hühnern. Viele dieser Betriebe stehen in den Kantonen Freiburg und Bern.
Meistens spezialisiert sich ein solcher Grossbetrieb entweder auf Fleisch oder auf Eier. Dabei stellt sich die Frage, wie es um das Tierwohl steht.
Eierproduktion in modernen Volieren-Ställen
Um das herauszufinden, besuche ich das Aviforum in Zollikofen bei Bern. Ziel des Aviforums ist es, junge Fachleute für die Eier- und Geflügelfleischproduktion auszubilden sowie die neuen Erkenntnisse unter Schweizer Produktionsbedingungen zu überprüfen.
Die grossen Hühnerhallen auf dem Areal repräsentieren also die Standards in der Schweizer Geflügelindustrie. Direktor Ruedi Zweifel zeigt auf einem Rundgang die unterschiedlichen Bereiche. Als Erstes schauen wir uns die Eierproduktion in einem der modernen Volieren-Ställe an.
Rund 4500 Legehühner teilen sich hier eine Fläche von 700 Quadratmetern. Die Hühner sehen gesund aus, doch es ist eng im Stall. Lärm und Geruch laden nicht wirklich zum Verweilen ein.
Mit der Idylle auf dem Demeterhof hat das, so der Eindruck, nichts zu tun. Ruedi Zweifel ist jedoch überzeugt, dass den Hühnern hier wohl sei.
Forschung für das Wohlbefinden des Huhns
Nur: Wie weiss man, ob sich ein Huhn wohlfühlt oder nicht? Ruedi Zweifel sagt: «Wir verfolgen natürlich das artgerechte Verhalten der Hühner seit über 35 Jahren. Und mit jedem Forschungsprojekt versucht man, dem Bedürfnis des Huhns näherzukommen und in diese Richtung weiterzuentwickeln.»
Er zeigt auf ein neues System mit Aufstiegsrampen, mit dessen Hilfe sich die Tiere zwischen den Niveaus bewegen können: «Wir bieten ihnen das an, testen es, schauen, wie viele der Hühner dies benutzen und wie viele nicht. Der Vorteil dieser modernen Haltungssysteme ist, dass das Huhn uns die Antwort gibt, wo es ihm am wohlsten ist.»
Dieser Stall entspricht dem gängigen BTS-Standard. Also der besonders tiergerechten Stallhaltung. Dieser Standard verlangt einen zusätzlichen Aussenbereich, der einem offenen Wintergarten gleicht.
Hier können die Tiere an die frische Luft und haben ein Sandbad zur Körperpflege. Die reine Stallhaltung ohne einen solchen Aussenbereich ist in der Schweiz nur noch bei sieben Prozent der Betriebe der Fall, Tendenz abnehmend.
Käfighaltung in der Schweiz verboten
Tatsächlich steht die Schweiz, was das Tierwohl der Legehennen angeht, im Vergleich zum Ausland ziemlich gut da. Während in vielen Ländern wie Indien oder Brasilien die Käfighaltung dominiert, wurde diese in der Schweiz 1991 verboten – als erstes Land der Welt wohlgemerkt.
Die EU folgte erst 2012 diesem Beispiel. In der Schweiz haben die meisten Hennen in der Eierproduktion sogar Zugang zu Weideland, was dem Standard «Freiland» oder «Bio» entspricht.
Männliche Küken nutzlos
Was viele Konsumentinnen und Konsumenten nicht wissen: Auch die Schweizer Freiland- und Biohühner sind hochgezüchtete Hybridhühner. Auch diese Hühner werden in der konventionellen Eierproduktion nach etwas mehr als einem Jahr Legezeit geschlachtet.
Aus einem Teil der konventionell gehaltenen Legehennen wird in Biogasanlagen Strom produziert. Ihren Platz im Legestall nehmen dann neue Hybridhühner ein.
Die männlichen Küken aus der Legezucht werden wiederum gleich nach der Geburt vergast, da sie wertlos sind in der Eierproduktion und zu langsam und zu wenig Fleisch ansetzen für eine Aufzucht. Tausende Küken – auch Freiland- und Bio-Küken – finden so in der Schweiz täglich ihren Tod. Ein immer noch ungelöstes Problem.
Weniger Tierwohl bei Mastpoulets
Ein weiteres Problem: Alle diese Hybridhühner bezieht die Schweizer Geflügelbranche hauptsächlich von ein paar wenigen ausländischen Grosskonzernen. Auch für die Pouletmast.
Hier werden die Hühner aber so gezüchtet, dass die Küken möglichst schnell an Gewicht zulegen. So viel vorweg: Im Unterschied zu den Legehennen steht es bei der intensiven Haltung der Schweizer Mastpoulets weniger gut um das Tierwohl.
Denn durch das beschleunigte Wachstum legen die Küken in so kurzer Zeit so viel Gewicht zu, dass sie gegen Ende ihres kurzen Lebens kaum mehr stehen können. Dies belegt der unabhängige Kontrolldienst des Schweizer Tierschutzes.
30 Tage lang wird ein solches Tier gemästet, bis man es schlachtet. Zum Vergleich: Die Lebenserwartung eines Huhns beträgt normalerweise etwa zehn Jahre.
Initiative fordert Auslauf für alle Hühner
Die grüne Nationalrätin Meret Schneider aus dem Kanton Zürich ist Co-Geschäftsführerin der Organisation Sentience Politics, einer politischen Denkfabrik mit dem Ziel, das Leiden aller Lebewesen zu verringern. Aktuell hat Sentience Politics eine Initiative gegen die Massentierhaltung zustande gebracht.
Für Meret Schneider sind die Zustände in der Geflügelindustrie unhaltbar: «Kein Tier in der Welt wird so konzentriert produziert wie das Huhn. Drei Konzerne dominieren den Weltmarkt an Legehennen und vier Konzerne an Mastgeflügel. Die beliefern die ganze Welt.»
Vor allem in der Schweizer Pouletmast sieht Schneider grosse Probleme. In der Geflügelfleischproduktion haben nur acht Prozent aller Masthühner Zugang zu einer Wiese. Das heisst, dass in der Schweiz nur wenig Freiland- oder Bio-Pouletfleisch produziert wird.
Weitreichenden Forderungen
Die Initiative gegen Massentierhaltung wird voraussichtlich nächstes oder übernächstes Jahr zur Abstimmung kommen. Sie fordert für alle Betriebe der Schweiz den Standard «Bio Suisse Knospe». Das würde eine massive Reduktion der Tierbestände in den Betrieben bedeuten und Weideland für alle voraussetzen.
Für Ruedi Zweifel vom Aviforum ist das schlicht illusorisch: «Ich stelle mir die Frage, was das effektive Ziel hinter dieser Initiative ist. Denn mit den Vorgaben, wie sie jetzt formuliert sind, wird es keine Schweizer Tierproduktion mehr geben.»
Die Vorgaben seien nicht durchführbar, da die Schweizer Produzenten so die Mengen nicht mehr herstellen könnten. «Ausserdem werden dann tierische Lebensmittel einfach vermehrt importiert», bemängelt Zweifel. Um dies zu vermeiden, müsste man die Bauern bei dieser grossen Umstellung unterstützen, sagt Meret Schneider – etwa mittels Direktzahlungen.
Konsumenten haben es in der Hand
Die Initiative kritisiert auch das gegenwärtige Ausmass des Konsums von Geflügelprodukten. Dieser liegt heute pro Kopf und Jahr bei durchschnittlich 180 Eiern und 14.2 Kilogramm Pouletfleisch. Nur Schweinefleisch wird in der Schweiz noch mehr konsumiert.
Für Ruedi Zweifel geht es darum, die Versorgungssicherheit der Bevölkerung zu garantieren. «Wir stellen ein Lebensmittel her. Ein Lebensmittel ist ja, wie das Wort sagt, ein Mittel zum Leben. Damit ist auch eine Vielseitigkeit des Schweizer Speisezettels geboten. Wir sind der Meinung, dass der Stimmbürger das entsprechend bewerten kann.»
Es hängt also vom Stimmbürger, vor allem aber von den Konsumentinnen und Konsumenten ab. «Wir nennen das ‹Demokratie an der Ladenkasse›. Das ist etwas salopp formuliert, aber jeder Einkaufsakt bezeugt, dass man diesem Produkt die Unterstützung geben möchte», so Zweifel. Konsumenten können jeden Tag mit ihrem Einkauf bestimmen, welches Produkt sie sich in Zukunft wünschten.
Bevölkerung informieren
Beim Schweizerischen Konsumentenforum sieht man das genau so. Dieses informiert seit fast 60 Jahren über Konsumthemen.
Präsidentin Babette Sigg sagt, das Wichtigste sei nach wie vor die Information der Bevölkerung: «Wenn der Kunde immer wieder hört, unter welchen Umständen Tiere gehalten werden, auch wie sie gut gehalten werden, kann er sich seine eigenen Gedanken machen und Produkte bevorzugen oder auf Produkte verzichten. Das ist für mich der Königsweg», so Babette Sigg.
Zukunft der Produktion?
Zurück auf dem Demeterhof in Tiefmoos. Während die Landwirtin Claudia Schneider um den mobilen Hühnerwagen läuft, taucht plötzlich eine ihrer Kühe auf. «Hey, verschrecke die Hühner nicht so, Blauna!», ruft die Demeter-Landwirtin der Kuh zu.
Hier geht es definitiv etwas anders zu und her als in den Hochleistungsbetrieben. Die Frage ist, ob diese Art der Geflügelproduktion auch in grösserem Stil möglich wäre.
Claudia Schneider sagt: «Es gibt sicher Betriebe, die auch in diese Richtung gehen und auch noch mehr Hühner haben. Es muss halt einfach auf den Betrieb passen. Und wenn man sich darauf spezialisiert, kann man auch mehrere mobile Ställe oder einen grösseren festen Stall haben.»
Doch machen wir uns nichts vor: Auch wenn alle heute eingetragenen Schweizer Nutzhühnerhalter – es sind fast 14'000 – plötzlich einen Demeterhof hätten und so produzieren würden wie Claudia Schneider, sie könnten nie den aktuellen Verbrauch an Eiern und Pouletfleisch in der Schweiz decken.
Claudia Schneider sieht eine mögliche Lösung für mehr Tierwohl in der Reduktion des Ei- und Fleischkonsums: «Früher kannte man noch das Sonntags-Ei. Und beim Fleischkonsum ist es genau das Gleiche. Wenn man da ein bisschen zurückfahren würde, wäre es eher möglich eine solche Hühnerhaltung zu betreiben. Das würde dem Tierwohl auf jeden Fall dienen.»