«Hattest du einen strengen Tag?», flüstert eine Männerstimme. «Du bist ganz angespannt. Setzt dich hin, meine Schöne. Mach’s dir bequem. Ich bringe dich auf andere Gedanken.» Das sind die ersten Sekunden eines rund 20-minütigen erotischen Hörspiels.
Zu hören ist nur er: der Erzähler. Adressiert ist sie: die Zuhörerin, die mit Kopfhörer der Geschichte lauscht. «Audio-Erotik» heisst das neue Genre, das durch Hören sexuell stimulieren soll.
Erotik von Frauen für Frauen
Tausend- bis millionenfach werden die Hörspiele mit erotischen Geschichten geklickt, melden die Anbieter-Plattformen. Von Fantasien mit ausführlichen Vorgeschichten bis zu expliziten Schilderungen. Von sanft zu derb. Von Telefonsex bis Büro-Affären. Von Worten zu Stöhn- und Sex-Geräuschen. Und dennoch: Audioerotik distanziert sich vom Porno-Begriff und dem dazugehörigen Image.
Zu finden ist ein Grossteil solcher Audios nicht etwa in den dunklen oder schmuddeligen Ecken des Internets, sondern auf Podcast-Apps oder auf einer wachsenden Anzahl eigens dafür gegründete Erotik-Plattformen mit Paywall. Diese verkaufen erotische Audio-Geschichten als edles Produkt, mit Slogans wie «Sexy audio stories that get you in the mood» oder «The audio guide for intimate wellbeing».
Kopfkino statt Sex-Video
«Wir bieten erotische Inhalte speziell für Frauen. Bis vor wenigen Jahren gab es praktisch kein Angebot für uns auf dem Markt», sagt Nina Julie Lepique, Gründerin des deutschen Start-Ups «Femtasy». «Femtasy» ist die erste Plattform, welche sich auf die Herausgabe kuratierter Audio-Erotik spezialisiert hat.
«Gerade herkömmliche Pornos sind eher auf männliche Bedürfnisse zugeschnitten. Deshalb braucht es Alternativen, mit denen Frauen ihre eigene Sexualität leben können, wie sie wollen», so Lepigue. Um herauszufinden, was Frauen wirklich wollen, hat «Femtasy» Interviews mit 1’500 Frauen geführt und auf der Basis der Ergebnisse die Plattform entwickelt.
Vom Voyeur zum Akteur
Die Umfrage ergab: Weibliche Erregung funktioniert viel mehr durch die eigene Vorstellungskraft als durch visuelle Reize. Nach der Gründung von Femtasy im Jahr 2018 sprangen auf einen Schlag dutzende weitere Unternehmen auf den Zug «Audio-Erotik». Das mag einerseits daran liegen, dass Audio-On-Demand und Podcasts gerade boomen. Andererseits an der unterschätzten Intimität von Ton und Klang.
«Weil Zuhören die Fantasie anregt, entsteht oft ein intimeres Erlebnis», sagt Anna Richards, die Gründerin von «Frolic Me», einer Pornografiewebsite mit Bild, Videos und neuerdings auch Audios im Angebot. Eine Besonderheit von Audio-Erotik sei die direkte Hörerinnenansprache: «Die Zuhörerin ist nicht länger bloss eine Beobachterin, stattdessen ist sie mit ihrem eigenen Kopf-Kino daran beteiligt, die Szene zu gestalten.»
Alles andere als heteronormativ
Frauen sind zwar die Zielgruppe solcher Plattformen und auch die Mehrheit der Konsumentinnen. Laut Medienberichten finden sich je nach Anbieter auch 10 bis 40 Prozent Männer unter den Zuhörenden. Teils allein, teils mit Partnerin oder Partner.
Da mit strengen Qualitätsstandards kuratiert, sind die Inhalte von Audio-Erotik Plattformen meist feministisch, body-positiv, queerfriendly, oder wie es Femtasy formuliert hat: alles andere als heteronormativ. Audio-Erotik ist somit Teil des «Ethical Porn Movement»: Diese Bewegung, will Sexualität von Scham befreien und Pornografie zu einem ethisch vertretbaren Produkt machen – ein Trend, von dessen Höhepunkt wir bestimmt noch hören werden.