Der Riss zwischen Ost und West aufgrund des Krieges in der Ukraine führt mitten durch die Kirchen. Die Forderung nach dem Ausschluss der russisch-orthodoxen Kirche aus dem Weltkirchenrat, kurz ÖRK, werden lauter. Auch die Evangelische Kirche Schweiz (EKS) debattiert darüber.
Woher kommt das Bestreben, die russisch-orthodoxe Kirche zu isolieren? Der Moskauer Patriarch hat sich nicht von der Gewalt Putins distanziert. Im Gegenteil: Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche Moskaus, Patriarch Kyrill, hat den Krieg gegen die Ukraine mehrfach als heilige Aufgabe gerechtfertigt, als «metaphysischen Kampf» des Guten gegen das Böse. Zugleich verteufelt er den Westen.
Der Weltkirchenrat ist sozusagen eine kirchliche UNO.
Hat die Kirche noch andere diplomatische Mittel als einen Ausschluss, um etwas zu erreichen? Der Papst telefonierte bereits mit Kyrill, der ökumenische Weltkirchenrat bat Kyrill mehrfach, die Gewalt zu verurteilen und sich für den Frieden einzusetzen. All das bewirkte nichts, obwohl die russisch-orthodoxe Kirche seit 60 Jahren Mitglied im Weltkirchenrat ist.
Aktuell ist sogar ein orthodoxer Theologe aus Rumänien Generalsekretär des ÖRK. «Trotzdem rückt Kyrill kein Stück von seiner Putin-Treue ab», sagt SRF-Religionsredaktorin Judith Wipfler.
Immerhin ist der Gesprächsfaden noch nicht abgerissen: An der ökumenischen Versammlung der Ostkirchen und orientalischen Kirchen diese Woche in Zypern nimmt auch der russisch-orthodoxe Metropolit Hilarion teil.
Spiegelt sich der Konflikt der Nationen im Konflikt der Kirchen wieder? Ja, und auch die Krise grosser internationaler Organisationen. «Der ÖRK ist sozusagen eine kirchliche UNO», so Judith Wipfler. Für die Kirchen sei die Situation sehr frustrierend, weil der ÖRK ursprünglich zur Versöhnung der Kirchen und Völker nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde. «Die ökumenische Bewegung war und ist immer auch eine Friedensbewegung», so Wipfler.
Die ganze ökumenische Kirchengemeinschaft gerät unter Druck.
Kommt die Krise innerhalb der Kirchengemeinschaft überraschend? Nein, diese Distanz und Spaltung hat sich seit Jahrzehnten abgezeichnet, auch zwischen den einzelnen orthodoxen «Ostkirchen»: Da gab es bereits ab 2015 im Nachgang der Krim-Eroberung ein echtes Schisma. Auch dahinter steckte ein kirchlicher Machtstreit: Patriarch Kyrill beanspruchte für sich und Moskau das Primat, also eine Vorrangstellung in der Orthodoxie. Die andern lehnten das mehrheitlich ab.
Wie reagieren Orthodoxe auf Kyrills Kriegsrechtfertigung? Namhafte Theologen protestieren laut dagegen, dass Kyrill den Krieg im Namen der Orthodoxie rechtfertigt. Das sei nicht orthodox, sagen sie. Die ganze ökumenische Kirchengemeinschaft gerate unter Druck, sagt Wipfler. «Schliesslich verletzt Kyrill, wenn er Krieg segnet, einen fundamentalen ökumenischen Grundsatz, nämlich: ‹Do no harm›, also ‹keine Gewalt›», so Wipfler.
Der ÖRK steckt im selben Dilemma wie die Politik: «Er muss den Krieg verurteilen als das, was er ist. Gleichzeitig muss man die Beziehung zu Moskau irgendwie aufrechterhalten und die Tür nicht ganz zuschlagen», sagt Judith Wipfler.
Was würde ein Ausschluss der russisch-orthodoxen Kirche bringen? «Kyrill würde das kaum beeindrucken», sagt Wipfler. Es gehe in dem Fall vor allem um eine Standortbestimmung jener, die sich vom Moskauer Patriarchen distanzieren wollen, oder glauben, dies zu müssen.
Zudem herrscht auch einen Druck der Öffentlichkeit, sich deutlich zu positionieren. Aber: «Eine der letzten Brücken, eine der letzten Drähte nach Moskau würde gekappt», ist Judith Wipfler sicher.