Rache ist ein beliebtes Thema in Erzählungen: In Literatur, Comics, Filmen, ja selbst in der Bibel kommen reichlich Rachegeschichten vor. Diese Fülle täuscht darüber hinweg, dass es sich bei solchen Geschichten mehrheitlich um Fantasie und nicht um historische Fakten handelt.
Rachefantasien als Gegengift gegen rohe Gewalt
Das Jüdische Museum Frankfurt will dazu nun eine Debatte lancieren. «Rache. Geschichte und Fantasie» heissen Ausstellung und Essayband dazu. Museumsdirektorin Mirjam Wenzel ist stolz: Noch nie habe eine jüdische Institution es gewagt, Rache derart öffentlich zu thematisieren.
Das habe damit zu tun, dass Rache oft an toxische antisemitische Klischees rühre, sagt Wenzel. Auch damit spielt das Museum. Es präsentiert das «Narrativ Rache» – also Rachegeschichten und Rachefantasien – als Gegengift gegen rohe Gewalt an Minderheiten. Das macht das Frankfurter Projekt auch für nicht-jüdische Menschen interessant.
Rachegeschichten sind gute Stories
Der Schweizer Kulturwissenschaftler Caspar Battegay hat an dem Ausstellungskonzept mitgewirkt. Er sieht in Rachedurst einen starken Treiber in Kunst und Popkultur. Quentin Tarantinos Film «Inglourious Basterds» sei das beste Beispiel. In Film rächen sich jüdische Widerstandskämpferinnen und Partisanen. Hitler und die Nazis werden von Kugeln durchsiebt.
Natürlich ist das Fiktion – aber sie tut auf gewisse Weise gut, da die wenigsten Nazis zur Verantwortung gezogen wurden. Nur ganz wenige Fälle echter jüdischer Racheakte nach 1945 sind historisch belegt. Die «Inglourious Basterds» rächen sich eben «nur» im Film. Aber das hat einen entlastenden Effekt bei Zuschauenden, die ihre Rachefantasie gegenüber den Mördern lange unterdrücken mussten.
Rachefantasien in Erzählungen ausleben
Solche erfundenen Geschichten stehen schon in der Bibel. Etwa das Märchen von Königin Esther: Mit Sexappeal erreicht Esther beim König, dass der geplante Genozid an den Juden im persischen Reich verhindert wird. Am Schluss wird der Judenhasser namens Haman selbst gehängt, mitsamt allen seinen Söhnen. Diese Geschichte hat jedoch nie stattgefunden. Das Gegenteil war meist der Fall: Pogrome, Holocaust.
In der biblischen Erzählung rettet Esther ihr Volk vor der Vernichtung. Im Mythos erwirken biblische Helden wie Esther jene Genugtuung und Gerechtigkeit, die dem jüdischen Volk in der Realität versagt blieb. Genau wie in «Inglourious Basterds».
Weil Fantasie die Seele reinigt
Der Schweizer Kulturwissenschaftler Caspar Battegay vergleicht die Funktionsweise solcher Rachegeschichten mit der eines Witzes: Nach Sigmund Freud ist «der Witz die Waffe der Wehrlosen». Analog seien Rachegeschichten Ausdrucksformen machtloser Minderheiten.
Das ist spannend für alle, die in dieser Welt nicht zu ihrem Recht kommen. In der Fantasie können sie Erlittenes neu- oder zumindest «umschreiben». Das ist eine psychoanalytische Methode: Gewaltbetroffene sollen ihr Opfer-Ego ablegen und wieder souverän werden, also selbst Regie führen über die eigene Lebensgeschichte.
Museumsdirektorin Mirjam Wenzel nennt das: Selbstermächtigung. Und zwar ohne jedes Blutvergiessen. So funktionieren Rachegeschichten.