Zum Inhalt springen
Audio
Rache! – mit Lust und Fantasie
Aus Perspektiven vom 11.06.2022. Bild: SRF / Sébastien Thibault
abspielen. Laufzeit 29 Minuten 55 Sekunden.

Ausstellung zum Thema Rache Unsere Rachefantasien – das Gegengift gegen rohe Gewalt

Rache nehmen ist verboten, sagen Rechtsstaat, Bibel und Talmud. Allein schon Rachegelüste auszusprechen, ist für viele ein Tabu. Warum Rachefantasien auch helfen, zeigt das Jüdische Museum Frankfurt.

Rache ist ein beliebtes Thema in Erzählungen: In Literatur, Comics, Filmen, ja selbst in der Bibel kommen reichlich Rachegeschichten vor. Diese Fülle täuscht darüber hinweg, dass es sich bei solchen Geschichten mehrheitlich um Fantasie und nicht um historische Fakten handelt.

Rachefantasien als Gegengift gegen rohe Gewalt

Das Jüdische Museum Frankfurt will dazu nun eine Debatte lancieren. «Rache. Geschichte und Fantasie» heissen Ausstellung und Essayband dazu. Museumsdirektorin Mirjam Wenzel ist stolz: Noch nie habe eine jüdische Institution es gewagt, Rache derart öffentlich zu thematisieren.

Das habe damit zu tun, dass Rache oft an toxische antisemitische Klischees rühre, sagt Wenzel. Auch damit spielt das Museum. Es präsentiert das «Narrativ Rache» – also Rachegeschichten und Rachefantasien – als Gegengift gegen rohe Gewalt an Minderheiten. Das macht das Frankfurter Projekt auch für nicht-jüdische Menschen interessant.

Foto einer Ausstellung in Frankfurt.
Legende: Von Gott zu Quentin Tarantino: Racheerzählungen reichen bis zur Entstehung der Erde zurück, sind vielfältig – und oft fiktiv. Norbert Miguletz/Jüdisches Museum

Rachegeschichten sind gute Stories

Der Schweizer Kulturwissenschaftler Caspar Battegay hat an dem Ausstellungskonzept mitgewirkt. Er sieht in Rachedurst einen starken Treiber in Kunst und Popkultur. Quentin Tarantinos Film «Inglourious Basterds» sei das beste Beispiel. In Film rächen sich jüdische Widerstandskämpferinnen und Partisanen. Hitler und die Nazis werden von Kugeln durchsiebt.

Natürlich ist das Fiktion – aber sie tut auf gewisse Weise gut, da die wenigsten Nazis zur Verantwortung gezogen wurden. Nur ganz wenige Fälle echter jüdischer Racheakte nach 1945 sind historisch belegt. Die «Inglourious Basterds» rächen sich eben «nur» im Film. Aber das hat einen entlastenden Effekt bei Zuschauenden, die ihre Rachefantasie gegenüber den Mördern lange unterdrücken mussten.

Brad Pitt und Eli Roth blicken in die Kamera.
Legende: Ihre Rache wurde frei erfunden: In «Inglourious Basterds» rächen sich Leutnant Aldo Raine (Brad Pitt, rechts) und Sergeant Donny Donowitz (Eli Roth) an den Nazis. AP Photo/The Weinstein Company, Francois Duhamel

Rachefantasien in Erzählungen ausleben

Solche erfundenen Geschichten stehen schon in der Bibel. Etwa das Märchen von Königin Esther: Mit Sexappeal erreicht Esther beim König, dass der geplante Genozid an den Juden im persischen Reich verhindert wird. Am Schluss wird der Judenhasser namens Haman selbst gehängt, mitsamt allen seinen Söhnen. Diese Geschichte hat jedoch nie stattgefunden. Das Gegenteil war meist der Fall: Pogrome, Holocaust.

Gemälde von Königin Ester und Grosswesir Haman
Legende: Die mutige Königin Esther vereitelt den vom Grosswesir Haman geplanten Genozid an den Juden im Perserreich. Auf ihrer Geschichte basiert das jüdische Purimfest, das an die Rettung der Juden im Altpersischen Reich erinnert. IMAGO / UIG

In der biblischen Erzählung rettet Esther ihr Volk vor der Vernichtung. Im Mythos erwirken biblische Helden wie Esther jene Genugtuung und Gerechtigkeit, die dem jüdischen Volk in der Realität versagt blieb. Genau wie in «Inglourious Basterds».

Weil Fantasie die Seele reinigt

Der Schweizer Kulturwissenschaftler Caspar Battegay vergleicht die Funktionsweise solcher Rachegeschichten mit der eines Witzes: Nach Sigmund Freud ist «der Witz die Waffe der Wehrlosen». Analog seien Rachegeschichten Ausdrucksformen machtloser Minderheiten.

Das ist spannend für alle, die in dieser Welt nicht zu ihrem Recht kommen. In der Fantasie können sie Erlittenes neu- oder zumindest «umschreiben». Das ist eine psychoanalytische Methode: Gewaltbetroffene sollen ihr Opfer-Ego ablegen und wieder souverän werden, also selbst Regie führen über die eigene Lebensgeschichte.

Museumsdirektorin Mirjam Wenzel nennt das: Selbstermächtigung. Und zwar ohne jedes Blutvergiessen. So funktionieren Rachegeschichten. 

Ausstellungshinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Das Jüdische Museum Frankfurt widmet der Rache vom 18. März bis 3. Oktober eine Ausstellung mit dem Titel «RACHE. Geschichte und Fantasie».

Begleitend zur Ausstellung erschien das Buch «Rache. Geschichte und Fantasie» mit verschiedenen Essays, etwa von Max Czollek.

Radio SRF 2 Kultur, Perspektiven, 12.06.2022, 8:30 Uhr

Meistgelesene Artikel