Die Klappe aufreissen: Das kann sie. Aber Autorin Ronja von Rönne, einst als «Sprachrohr ihrer Generation» gefeiert und bekannt geworden, beherrscht auch die leisen Töne.
In ihrem neuem Roman «Ende in Sicht» wollen zwei Frauen – ein abgehalftertes Schlagersternchen und ein Teenie, die an Depressionen leidet – ihrem Leben ein Ende setzen. Das Leben: eine Zumutung. Auch die mittlerweile 30-jährige Rönne leidet, seit sie 17 ist, an Depression. Ein Gespräch über Hochs, Tiefs und das grosse Trotzdem.
SRF: Im Februar haben Sie ein wunderschönes Bild von sich auf Instagram gepostet. Im Text dazu schreiben Sie, dass Sie noch Interviews geben, sich fotografieren lassen und parallel auf einen Platz in der Klinik warten. Es gibt also das glanz- und ruhmvolle Leben der Ronja von Rönne – und diese Momente, in denen es ganz düster wird.
Ronja von Rönne: Klingt makaber, aber wenigstens habe ich mir dadurch die Recherche für mein Buch erspart.
Es geht mir mal besser, mal schlechter. Als ich 2015 das erste Mal in einer Klinik war, war eine Lesereise angedacht. Ich war so depressiv, dass ich mich im Bett nicht von links nach rechts drehen konnte. Ich habe nicht mehr auf Anrufe reagiert, gar nichts.
Auch damals haben Sie Ihren Eintritt öffentlich gemacht – und sind zu einer Art Vorbild geworden.
Jeder, der Depressionen hat oder Angehörige mit Depressionen, weiss, dass es eigentlich ein Vollzeitjob ist. Es ist wahnsinnig anstrengend und kräftezehrend. Dann auch noch ein Lügen-Korsett zu bauen à la «Ich muss die Lesereise absagen wegen eines familiären Notfalls» ist furchtbar anstrengend. Deswegen habe ich gesagt: Der familiäre Notfall bin ich selbst.
Die Depression ist keine Künstlerkrankheit, sondern eine Volkskrankheit.
Ich wollte keine Koryphäe für eine mentale Gesundheits-Bewegung werden. Es war schlicht zu anstrengend, diese Fassade aufrechtzuerhalten.
Aber man muss auch sagen: Im Beruf einer Autorin ist es deutlich einfacher, offen damit umzugehen. Für viele Menschen ist es das nicht. Nicht für Mütter oder Väter, die eingespannt sind. Oder für Menschen, die Familien haben, die diese Krankheit nicht ernst nehmen. Die Depression ist keine Künstlerkrankheit, sondern eine Volkskrankheit. Sie kann jeden treffen.
Künstlerinnen und Künslter, die unter Depressionen oder Angststörungen leiden, werden jedoch oft mystifiziert. Edward Munch, Mark Twain, David Foster Wallace, Sylvia Plath, um ein paar Beispiele zu nennen.
In einer schweren depressiven Phase kreiert man nicht, sondern schneidet sich im Zweifelsfall ein Ohr ab wie Vincent van Gogh. Man kann erst einen Mehrwert daraus ziehen, wenn der Sturm nicht mehr grollt.
Das Schlimmste ist, dass man keinen Zugriff mehr auf das Schöne hat.
Diese mystifizierte Bild der Depression setzt die Leute unter Druck. Die meisten Menschen, die an Depressionen leiden, schreiben und komponieren nicht. Sie hadern und scheitern und müssen noch die Kinder von der Schule abholen.
Sylvia Plaths «Die Glasglocke» ist ein Sinnbild geworden für Depression. Sie beschreibt in ihrem Buch die Depression einer Journalistin als ein Leben unter einer Glasglocke, in der man sich wie ein totes Baby fühlt. Man schaut nach draussen und denkt: Diese Welt ist furchtbar.
Das Schlimmste ist, dass man keinen Zugriff mehr auf das Schöne hat. Wenn Sommer ist und man selbst ist in dieser Glocke sitzt, dann sieht man zwar, dass Menschen sich verlieben und hört, wie sie feiern. Man hört aber alles dumpfer. Man hätte das Potenzial zu all dem, aber die Glasglocke hat keine Tür.
Als es der Hauptfigur Esther besser geht, weiss sie gleichzeitig, dass die Glocke sich wieder erbarmungslos senken wird. Leben Sie auch mit dieser Angst?
Jeden Tag. Es ist eine Gewissheit, die – wenn ich mich wirklich zum Optimismus bemühe – mir die Fähigkeit schenkt, gute Momente ganz besonders auszukosten. Ich habe ein grosses Talent zum Glücklichsein und auch viele Gründe dazu.
Die Fragen stellte Barbara Bleisch. Das Interview ist die gekürzte Fassung eines längeren Gesprächs, das im Rahmen der «Sternstunde Philosophie» geführt wurde.