Abzusehen war das nicht. Als der märkische Autor Theodor Fontane um 1881 unterwegs auf seinen «Wanderungen durch die Mark Brandenburg» nahe dem Scharmützelsee ein altes Rittergut suchte, erfuhr er von einem alten Hutzelweiblein, da sei «nüscht mehr, gar nüscht». Nur 20 Jahre später legte der Gartenarchitekt Ludwig Lesser in diesem «nüscht» eine Gartensiedlung an, aus der schon bald ein legendärer Kurort werden sollte: Bad Saarow.
Nachdem hier 1911 ein heilender Mineralschlamm entdeckt worden war, zog der Ort am Ufer des grössten Sees in Brandenburg Bankiers, Maler, Schriftsteller und Komponisten an. Das 1914 eröffnete Kurgebäude gehörte damals zu den modernsten weltweit. Das Moor gelangte über ein Rohrleitungssystem direkt in die Wannen der Badegäste. Ein wahrer Touristenstrom setzte dann um 1926 ein, als auch noch eine Sole-Quelle entdeckt wurde.
Das Märkische Meer – wo die Titanic zum zweiten Mal sank
Die Geschichte des Ortes ist berstend, wie Lutz Storr vom Fördervereins des Ortes erzählt: «Wir hatten drei Künstlerkolonien! Zuerst die UFA-Schauspieler, dann die Bildhauer und Dichter. Später, nach 1945, auch die bekanntesten Künstler der DDR. Am Ufer des Silberbergs liess die UFA die Titanic ein zweites Mal untergehen – für einen Film. Ein paar hundert Meter weiter lebte Leo Leux, der bekannteste Berliner Revuekomponist seiner Zeit. Maxim Gorki kurierte hier sein Lungenleiden. Boxerlegende Max Schmeling heiratete hier die Schauspielerin Anny Ondra, Hitchcocks erste blonde Mörderin.»
Immer mehr grossstadtmüde Berliner zog es ans zwölf Kilometer lange und 1,5 Kilometer breite Märkische Meer. Für sie gründete ein Dr. Grabley auf der Halbinsel «Alte Eichen» die erste Klinik für Zivilisationskranke. Heute ist die Anlage in schönstem Brandenburger Barock wieder in Privatbesitz. Wer will, kann auf dem Gelände Ferienwohnungen mieten, über einen englischen Traumgarten zum See hinunterblicken und der alten Maxime des Dr. Grabley folgen: «Sie sind hier, um Ferien vom Ich zu machen!»
Vom Moorkurort zum «Bad der Werktätigen»
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Nach dem Krieg führte gerade die deutsche Teilung dazu, dass Bad Saarow die Tradition als Kurort fortführen konnte. «Denn nach dem Bau der Berliner Mauer blieben für die Ostdeutschen nicht mehr so viele Reiseziele übrig», erinnert Ortsführerin Angela Grabley. «Und so machte die DDR-Führung Saarow zu einem «Bad der Werktätigen». Villen wurden zu Ferienheimen, Arbeiter zelteten am märkischen Gestade. Auch Hollywood-Star Armin Müller-Stahl besass hier ein Segelboot. Auch die bekannte Chanconniere Gisela May und die weltberühmte Pianistin Annerose Schmidt hatten ihre Häuser im Ort.
Eine wachgeküsste Terra incognita
Dennoch: Das Herz ihres Ortes durften die Saarower erst nach der politischen Wende wieder betreten. Der Grund: Fast 50 Jahre machte die Sowjetarmee das Zentrum Bad Saarows zu einer Terra incognita, unterhielt dort ihr grösstes Auslands-Sanatorium. Hier kurten Marschälle und Kosmonauten. «Als die Sowjets 1994 abzogen, hinterliessen sie ein überraschend gepflegtes Areal», erinnert sich Axel Walter, Chef der Bad Saarower Kur GmbH. Das nutzten die Stadtväter visionär: «Wir bauten unser Thermalbad mitten ins Zentrum und mit direktem Blick auf den Scharmützelsee.» Allein 2013 erlagen fast eine halbe Million Besucher dem erneuerten Charme des kleinen Badeortes.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 31.07.2014, 16.45 Uhr.