Wir sind in Riehen, in der Nähe von Basel. Praktisch nichts erinnert mehr an die emotionalen Szenen, die sich hier vor etwa einem Jahr abspielten: Zwischen März und Juni letzten Jahres durfte hier niemand mehr die Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz überqueren.
Fotograf Roland Schmid bleibt stehen. Er erinnert sich an die Menschen, die sich hier an der Grenze trafen. «Die Leute unterhielten sich hier angeregt – über die Plastikband-Absperrung hinweg oder durch die Maschen des Zauns. Ich glaube, sie waren einfach froh, dass sie sich sehen konnten.»
Die Krise vor der Haustüre
Freunde, Familien und Paare kamen hier vor einem Jahr an der Grenze zusammen. So eine Situation, eine Krise in der eigenen Heimat mitzuerleben, war für Roland Schmid etwas Besonderes.
Seit Jahren ist der 55-Jährige viel im Ausland unterwegs. Neben seinem Job als Fotograf der Zeitung «bz» ist er auch Krisenfotograf. Er reist dort hin, wo etwas Schlimmes passiert – und hält es mit seinen Bildern fest.
Ob Vietnam oder Russland: Roland Schmid hat schon viele Länder bereist. Eine Krise in der eigenen Heimat zu fotografieren, sei für ihn aber skurril gewesen: «Normalerweise fahre ich ins Ausland, zum Teil in Krisengebiete. Das ist oft mit sehr grossem Aufwand verbunden. Ich brauche verschiedene Bewilligungen und die Reisen sind recht kostenintensiv. Jetzt wurde mir praktisch alles vor die Haustüre gelegt. Das war lässig!»
Grenzübergreifende Liebe
Eine ganze Serie ist dabei entstanden. Sie zeigt Menschen, die sich an der Grenze treffen, dort zusammen picknicken, sich über eine Absperrung hinweg küssen oder über die Grenze miteinander Federball spielen.
Roland Schmid ist ein Vollblut-Fotograf. Das Studium brach er für seine Lehre zum Fotografen ab. Das habe er noch keinen Tag bereut.
Dass die Fotos, die er in der Region geschossen hat, jetzt international für Furore sorgen, sei für ihn etwas ganz besonderes: «Diese Auszeichnung kann man eigentlich mit dem Oscar vergleichen. Selbst wenn ich nicht den ersten Platz mache, freue ich mich allein über die Nominierung wahnsinnig.»
Die Liebenden unterm Apfelbaum
Der Basler Fotograf streckt den Arm aus und zeigt auf einen alten, knorrigen Apfelbaum. Dort sei eines seiner Lieblingsfotos entstanden. Unter den Ästen dieses alten Baumes lagen vor einem Jahr Sabrina und Davor. Ein Liebespaar aus zwei Ländern. Sie aus der Schweiz, er aus Deutschland.
Die junge Frau habe unbedingt gewollt, dass er ihr Unglück festhalte. «Sabrina wurde ziemlich offensiv und meinte, dass man das, was mit ihnen gemacht wird, doch dokumentieren müsse.» Das tat Roland Schmid.
Zeugnis einer bittersüssen Pandemie
Dass die Fotografien jetzt international durch den World Press Photo Award eine Bühne bekommen haben, spüre er sehr. Er erhalte Interviewanfragen aus den USA und Jobangebote aus anderen Kontinenten.
Roland Schmids Fotografien zeigen eine bittersüsse Seite der Pandemie. Sie zeigen Liebe und Freiheit. Sie zeigen auch, wie eng die Menschen zusammenleben – über Grenzen hinweg.
Mit dem Ort, an dem die Fotografien entstanden sind, verbindet der Basler aber noch viel mehr: «Bis zu meinem achten Altersjahr wuchs ich in dieser Gegend auf. Das hier war mein Spielplatz.»
Der Kinderspielplatz von früher ist zu einem Ort geworden, der ihm jetzt internationale Aufmerksamkeit verschafft hat. Ob seine Fotografien tatsächlich einen World Press Award bekommen werden, ist noch nicht klar. Die Preisträgerinnen und -träger werden am 15. April bekannt gegeben. Doch gewonnen hat Roland Schmid mit diesen emotionalen Begegnungen ohnehin bereits einiges.