Es ist ein Experiment voller Widersprüche. Du bist kirchenfern, die Sünde ist für dich eine inexistente Kategorie. Ein geheimnisumwittertes Gespräch in einer Dunkelkammer, wo irgendetwas passiert zwischen zwei Menschen. Worauf der eine erleichtert herauskommt. Beichte, was geht da genau ab?
Gitter und Licht im Beichtstuhl frei regelbar
Im Kloster Einsiedeln gibt es tägliche Beichtzeiten. Dort sitzt du also in einem «Beichtstuhl» genannten Kämmerlein auf einer Bank, ein Gitter vor der Nase. Pater Alois bietet an, es auf die Seite zu schieben. Er zeigt dir den Schalter, mit dem er das Licht stufenlos dosiert, nach Bedarf.
Es zeigt sich, dass die Beichte heute eine… nun ja, flexible Angelegenheit ist. Aber zuerst suchst du nach einem Vergehen, das Beichtwert hat und doch nicht allzu peinlich ist. Natürlich, du musst als erstes beichten, dass du nicht an Gott glaubst.
Das Busssakrament hat eine eigene Begrifflichkeit: Pönitenten oder Beichtkinder werden sie genannt, auch in gestandenem Alter wie du. Auf der anderen Seite sitzt der Beichtvater, ein Priester, der dir nach Anhörung deiner lässlichen oder schweren Sünden Bussgebete aufträgt, deine Reuebereitschaft überprüft und dir schliesslich die Absolution erteilt. Soweit die Theorie.
Masturbation ist längst keine Sünde mehr
Die Geschichte der Beichte ist geprägt von Macht und Unterdrückung, schreibt John Cornwell in einem kürzlich erschienen Buch. Er, der selber fast Priester geworden wäre, geht darin von einer verstörenden Erfahrung aus: Während der wöchentlichen Beichte wurde er als Kind vom Priester sexuell bedrängt. Cornwell kritisiert, dass seit dem frühen 20. Jahrhundert Kinder bereits mit sieben Jahren die Erstbeichte ablegen. Durch die Drohung mit ewiger Bestrafung in der Hölle sei die Beichte als Instrument der Angst und Kontrolle missbraucht worden.
Pater Alois spricht lieber vom «Sakrament der Versöhnung». Er kritisiert die Reduktion der Beichten auf die Sexualität. Masturbation zum Beispiel sei schon längst keine Sünde mehr. Ausserdem soll nicht die Absolution im Zentrum stehen. Das Ziel einer Beichte liege im Streben nach Idealen, in der Vertiefung der Gottesbeziehung sowie in der Gewissenserforschung.
Lobende Worte statt Tadel
Also weiter im Beichttext: Du erzählst dem Priester von diesem Freund, der unfallbedingt schwer behindert ist. Du hast ihn vernachlässigt und nie mehr besucht. Die Gewissensbisse plagen dich. Dann gibst du zu, dass du mit 20 aus der Kirche ausgetreten bist. Hast du noch eine Chance auf ein Seelenheil?
Du erwartest milden Tadel, doch Pater Alois findet lobende Worte für deine Erörterungen. Und auf deinen Einwand, dass Gott dabei für dich gar keine Rolle spielt, sagt er: «Glaube ist nicht nur das, was man formuliert. Das ist eine Beziehung, die da ist, nicht etwas, was wir machen. Darum ist eine Haltung, die Sie ausdrücken, eine des Glaubens. Auch wenn Sie das nicht so formulieren.»
Du bist baff. Dann sagt er den Satz: «Von Gott aus gesehen ist es nicht nötig, Christ zu sein, um in seiner Gemeinschaft zu sein, auch über das Leben hinaus. Es ist ein Angebot Gottes, aber die Wirklichkeit ist viel grösser.»
Also bist du gläubig, hast es einfach nicht gemerkt? Oder ist das wieder so ein missionarischer Trick? Darüber willst du nachdenken.
Innere Widerstände, aber auch Rührung
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Du beschliesst, die Sache durchzuziehen: Ob du das Sakrament der Beichte bekommen kannst, ohne Mitglied der katholischen Kirche zu sein, fragst du. Pater Alois zögert. Das sei aus offizieller katholischer Sicht nicht möglich.
Aber nach seiner theologischen Auffassung kannst du als Nichtgläubige eine Sündenvergebung bekommen. Es sei «nach der katholischen sakramentalen Auffassung ein Zuspruch, dass Gott diesem Menschen die Sünden vergibt. Wenn eine reformierte oder andersgläubige Person eine Sündenvergebung wünscht, dann glaube ich, bin ich überzeugt, ist sie auch gültig.»
Ihr diskutiert noch eine Weile über Ehebruch, Masturbation und Mord, über Sündenregister und Bussreglemente damals und heute. Ein interessantes Gespräch. Für die abschliessende Segnung legt er seine Hände auf deinen Kopf und spricht persönliche Worte, die das vorangegangene Gespräch aufnehmen. Du spürst die inneren Widerstände, aber auch so etwas wie Rührung. Zur Absolution kommt es nicht.