Bauer oder Bäuerin zu sein, ist nicht einfach nur ein Beruf. Das ganze Leben dreht sich um den Hof. So war es auch für Susanne Hochuli und Daniel Häfliger. Beide lebten für die Landwirtschaft – bis sie die Entscheidung trafen, aus dem Bauernberuf auszusteigen.
Sie träumte von der Stadt
Susanne Hochulis Geschichte beginnt wie bei vielen Kindern von Bauernfamilien. Sie wuchs mit ihren drei Geschwistern auf einem Kleinbetrieb im aargauischen Reitnau auf. Ihr Vater führte den Hof, zu dem Ackerbau, Schweinezucht und Milchkühe gehörten. «Wir mussten viel mithelfen und konnten nie mit den Eltern in die Ferien, aber es hat mir gefallen», erinnert sie sich.
Doch sie sah ihre Zukunft nicht auf dem Land. Erst machte sie die Ausbildung als Kindergärtnerin, dann zog sie für eine Stelle bei einer Zeitung als Journalistin nach Bern. Es war genau das Stadtleben, das sie sich erträumt hatte.
Seine Zukunft war der Hof
Auch Daniel Häfliger wuchs auf einem Bauernhof auf. Aber als einziger Bruder von drei Schwestern sei von Anfang an klar gewesen: Er würde einmal den Hof übernehmen. Häfliger absolvierte die Ausbildung zum Landwirt und arbeitete danach auf dem elterlichen Hof im Kanton Luzern mit Milchkühen, Schweinezucht und Ackerbau.
Als Häfliger 24 Jahre alt war, gründete er zusammen mit seinem Vater eine Generationengemeinschaft. Auf dem Papier gehörte der Betrieb noch immer seinem Vater. Doch Verantwortung, Entscheidungen und Gewinn teilten sie: «Mein Vater konnte Erfahrung hineinbringen, ich Ideen», sagt Häfliger.
Nicht der Ausstieg selbst war schwer, sondern das, was danach kam.
Vater und Sohn investierten und bauten den Hof laufend aus. Er war sich sicher: Seine Zukunft war der Hof. Bald darauf heiratete er und bekam mit seiner Frau zwei Kinder.
Ein Schicksalsschlag brachte sie zurück
Susanne Hochuli hatte mittlerweile kaum mehr etwas zu tun mit der Landwirtschaft. Sie war 23 Jahre alt und lebte in Bern, als plötzlich ihr Vater starb. Erst Schmerz – dann die grosse Frage: Wie geht es weiter mit dem Hof?
Ihre Mutter war allein und keines ihrer Geschwister konnte sich vorstellen, auf den Hof zurückzukehren. «Also entschied ich mich als junge Frau ohne landwirtschaftliche Ausbildung, den Hof meines Vaters zu übernehmen», sagt sie.
War es Pflichtgefühl? «Am Anfang vermutlich schon», sagt sie. «Aber ich habe es auch als Abenteuer gesehen.» In der Stadt hatte sie zudem die Arbeit in der Natur und mit den Tieren vermisst. Die 23-Jährige entschied also, von der Stadt auf den Hof zurückzukehren.
Der Landwirt an ihrer Seite
Die Anfangszeit sei schwierig gewesen. «Ich bin an meine Grenzen gestossen», sagt sie. Körperlich und psychisch: «Es war schwierig, zu wissen, dass man etwas tut, wovon man zu wenig Ahnung hat.» Wie säe ich ein Feld richtig an? Wie bediene ich die grossen Maschinen? Alles Dinge, die sie lernen musste.
Zwei Jahre lang führte Hochuli den Hof zusammen mit ihrer Mutter. In dieser Zeit lernte sie einen Mann kennen, der selbst Bauer war. «Ein Zufall», sagt sie und lacht. Die beiden verliebten sich und entschieden, gemeinsam den Betrieb weiterzuführen: «Es war eine grosse Entlastung, einen ausgebildeten Landwirt an meiner Seite zu haben.»
Die ersten Zweifel
Daniel Häfliger begann an seinem Weg zu zweifeln, nachdem seine Ehe in die Brüche gegangen war. «Die Trennung löste in meiner Familie eine riesige Welle aus», sagt er.
Plötzlich stand er unter grossem Druck: «Ich habe es nicht geschafft, eine Ehe zu führen. Also musste ich beweisen, dass ich einen Hof führen kann.» Der Druck sei immer grösser geworden.
Das Fass zum Überlaufen brachte, als Häfliger merkte, dass nun auch sein letzter Verbündeter, der Angestellte auf dem Hof, nicht mehr auf seiner Seite war. Dann ging es schnell: «Innerhalb von zwei Stunden packte ich meinen Koffer und ging.»
Häfliger kam erst bei seiner neuen Partnerin unter und begann sogleich, eine Wohnung und einen Job zu suchen. Innerhalb eines Monats fand er beides. Als Jugendlicher hatte er eine Zeit lang in einem Metallbau-Betrieb ausgeholfen, wo er nun eine Stelle fand. «Aber nicht der Ausstieg selbst war schwer», sagt Häfliger, «sondern das, was danach kam».
Alles, was der damals 29-Jährige bis anhin kannte, war die Landwirtschaft. «In meiner Schulzeit hatte ich mich nie mit Berufswahl beschäftigt. Es war klar, ich werde mal Bauer», sagt er. Nie habe er diese Entscheidung hinterfragt. Zu realisieren, dass all das nun vorbei war, habe ihm den Boden unter den Füssen weggezogen.
Wenn Bauern Beratung brauchen
«Der Ausstieg aus der Landwirtschaft kann schmerzhaft sein», sagt Simon Jöhr. Er ist Leiter des Beratungsteams von Inforama, einem Bildungs- und Beratungszentrum für Haus- und Landwirtschaft. Sein Team und er unterstützen unter anderem Landwirtinnen und Landwirte, die sich überlegen, auszusteigen.
Schwierig wird es, wenn die ältere Generation Druck ausübt auf die Jungen.
Für einen Ausstieg gibt gemäss Jöhr verschiedene Gründe. «Die meisten Bäuerinnen und Bauern hören altersbedingt mit 65 Jahren auf», sagt er. Wenn sie bis kurz vor der Pension keine Nachfolge finden, müssen sie den Betrieb aufgeben.
Dazu, wie viele vor der Pension aus dem Bauernberuf aussteigen, gibt es keine Zahlen. Klar ist: Es gibt immer weniger Betriebe in der Schweiz. 2021 gaben 499 Bäuerinnen und Bauern ihren Hof auf. Simon Jöhr vermutet, dass die Anzahl Aussteiger über die Jahre zugenommen hat: «Früher war es sicher ein grösseres gesellschaftliches Tabu, auszusteigen.»
Gründe für einen Ausstieg vor der Pension können gemäss Jöhr zwischenmenschliche Konflikte oder auch zu hohe Erwartungen sein. «Schwierig wird es, wenn die ältere Generation Druck ausübt auf die Jungen», sagt Jöhr. Das könne dazu führen, dass Leute in der Landwirtschaft arbeiten, die das eigentlich gar nicht möchten.
Hier kommt die Beratung ins Spiel. Erst bringen die Beraterinnen und Berater die entsprechenden Personen mit gezielten Fragen zur Selbstreflexion. Es geht darum herauszufinden, ob jemand wirklich aussteigen will oder andere Probleme zum Vorschein kommen. Dann besprechen die Beraterinnen und Berater die möglichen Konsequenzen eines Ausstiegs.
Finanzielle und rechtliche Folgen
Auszusteigen ist gemäss Jöhr einfacher, wenn man nur angestellt ist und selbst keinen Hof besitzt. Wer einen Betrieb führt, muss sich mit finanziellen und rechtlichen Folgen beschäftigen. «Es kann sein, dass in der Beratung klar wird, dass man noch fünf Jahre weiterarbeiten muss, dass man sich den Ausstieg überhaupt leisten kann.»
In welchem Berufsfeld Bäuerinnen und Bauern nach dem Ausstieg landen, sei schwierig zu sagen. «Wer nicht lernwillig ist und nur Landwirtschaft gelehrt hat, landet oft in Lagerbetrieben, auf dem Bau oder wird Handwerker», sagt Jöhr. Es gebe aber durchaus auch Leute, die sich weiterbilden und eine neue Ausbildung absolvieren.
Von der Landwirtin zur Politikerin
Der Entschluss, aus der Landwirtschaft auszusteigen, kam für Susanne Hochuli nach 18 Jahren mit ihrem Partner auf dem Hof. «Ich wollte etwas Neues ausprobieren», sagt sie. Damals engagierte sie sich bereits in der Politik als Kantonsrätin. Doch sie wollte mehr.
Sie kandidierte für den Regierungsrat, ohne sich grosse Chancen auszumalen. Und tatsächlich wurde sie gewählt. Susanne Hochuli wurde die erste Grüne Regierungsrätin im Kanton Aargau. «Nach meiner Wahl musste ich gar nicht aussprechen, dass ich aufhöre, in der Landwirtschaft zu arbeiten. Das war klar», erinnert sie sich.
Der Bauernhof blieb ihr Zuhause
In kurzer Zeit musste sie eine Lösung finden für den Hof. Sie entschied sich, den Betrieb an ihren Ex-Partner zu verpachten. Die beiden waren mittlerweile nicht mehr zusammen, aber immer noch befreundet.
Ich habe den Ausstieg nie bereut.
Sie war bereit für die neue Aufgabe. «Als Regierungsrätin arbeitet man sehr viel. Das kannte ich bereits vom Hof», sagt sie. Aber im Alltag auf die Selbständigkeit, Bewegung und Verbindung zur Natur zu verzichten, sei ihr erst schwerer gefallen als gedacht: «Es war ein Abschiednehmen von einem Leben, an das ich mich sehr gewöhnt hatte.» Den Ausstieg habe sie jedoch nie bereut.
Nach sieben Jahren im Regierungsrat arbeitet sie mittlerweile bei der Stiftung Patientenschutz und als Stiftungsratspräsidentin von Greenpeace Schweiz. Sie lebt noch immer auf dem Bauernhof, den ihr Ex-Partner von ihr pachtet.
Er fand sein Glück in den Bergen
Für Daniel Häfliger war es erst schwierig, herauszufinden, wie sein Weg weitergehen könnte. Er probierte sich aus, arbeitete in der Melktechnikbranche, im Asylwesen und für mehrere Jahre in der Event- und Messebaubranche. Dann ging er für eine Saison in die Berge. Hier kam er an.
Mittlerweile arbeitet Häfliger im Winter als Pisten-Patrouilleur in den Bergen und im Sommer für eine Firma, die Solaranlagen montiert. «Ich bin glücklich», sagt er.
Auch die Situation mit seiner Familie pendelte sich wieder ein. Er habe wieder ein gutes Verhältnis zu ihnen. Auch er bereut seinen Ausstieg nicht. Im Gegenteil: «Ich bin froh, durfte ich all das erleben», sagt Häfliger heute. «Das hat mich viel gelehrt.»