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Bild 1 von 3. Violette und blaue Häppchen, auf Plexiglas drapiert, auf der einen Seite ... Bildquelle: Andrea Staudacher.
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Bild 2 von 3. ... auf der anderen Seite ein Bauernbuffet. Was aussieht wie Fleisch, ist rein vegetarisch. Bildquelle: Andrea Staudacher.
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Bild 3 von 3. «Artifacts to reflect our behaviour»: Andrea Staudacher kombiniert Vertrautes mit Ungewohntem. Bildquelle: Andrea Staudacher.
Andrea Staudacher hat eben erst ihren Master abgeschlossen. Und bereits bittet sie in ihrer neu eröffneten Zürcher Galerie zu Tisch. Die junge Künstlerin lädt zu Experimenten ein – mit dem Ziel, eigene Verhaltensmuster und Gewohnheiten zu überdenken. Dazu gehören auch unsere Sehgewohnheiten. Das Auge isst bekanntlich mit.
Im Supermarkt greifen wir zu den immer gleichen Dingen. Kein Wunder, geben Produzenten neuen Nahrungsmitteln eine alte Form, um das Produkt mehrheitsfähig zu machen. Beispiel: Sojaprodukte im Wurstgewand.
Violette Häppchen
Genau hier setzt Staudacher an. Bereits für ihre Master-Arbeit organisierte sie Essen, das Vertrautes mit Ungewohntem kombinierte. Auf der einen Seite: violette und blaue Häppchen, kunstvoll auf Plexiglas drapiert. Auf der anderen: ein Bauernbuffet. Was keiner der Gäste wusste: Die visuell gewöhnungsbedürftigen farbigen Bissen waren Lyonerwurst und Parfait. Das Bauernbuffet hingegen rein vegetarisch.
Nach der Auflösung war die Diskussion um Fleischkonsum und -verzicht etabliert. Staudacher: «Um Moral geht es mir nicht. Egal, wozu sich jemand letztlich entscheidet, wenn ich Gedanken in Gang setzen kann, bin ich zufrieden.»
Insekten auf Zahnstochern
Staudacher hat ebenfalls zu einem In-Vitro-Abend eingeladen, bei dem angeblich Fleisch aus dem Labor kredenzt wurde. Tags darauf war allen klar: Die Produkte waren vegetarisch. Um Alternativen zum Fleischverzehr aufzuzeigen, bietet Staudacher auch Menus mit Insekten an. Womit wir bei den Anfängen wären.
Schon als Kind war Andrea Staudacher fasziniert von der Ästhetik der Käfer und Schmetterlinge. Doch dann war da dieses Foto in einer Tageszeitung. Insekten – aufgespiesst auf Zahnstochern. Zum Verzehr. Nicht das Bild, nicht die Tatsache, dass Insekten gegessen werden, sondern die Tiere selbst ekelten Staudacher plötzlich an.
Ästhetik schlägt in Ekel um.
Die Frage nach dem Warum liess der Studentin keine Ruhe mehr. Staudacher: «Ich nenne dies den Kippmoment. Ästhetik schlägt in Ekel um. Das ist mein Ansatz in meiner ganzen Arbeit. Wegen einer kleinen Verwirrung oder einer subtilen Täuschung ist man sich auf einmal nicht mehr sicher, ob man etwas gut, schlecht, schön oder potthässlich findet.»
Aus der eigenen Irritation und der daraus resultierenden intensiven Auseinandersetzung mit Insekten als Nahrungsmittel entstand Staudachers Bachelorarbeit: das erste Insektenkochbuch der Schweiz. Staudacher: «Mein Vater hat ein einziges Mal von einer solchen Tafel probiert. Es war definitiv nicht sein Ding. Ich komme aus einer Familie mit richtigen Fleischtigern.»
Unser Heisshunger auf Fleisch
Am Anfang ihrer Arbeit stellte sich Staudacher trotzdem der Aufgabe, gänzlich auf Fleisch zu verzichten. Der Versuch scheiterte. Zu ideenlos habe sie täglich in der Küche gestanden. Statt Verzicht lautet ihr Credo heute: Konsum einschränken. Und: ehrlich mit dem Thema umgehen und ein Bewusstsein für das eigene Handeln schaffen.
Die Konsequenz: Staudacher meldete sich bei einem Metzger an, bei einer Säuli-Schlachtung dabei zu sein. «Ich habe gedacht, das wird mich umhauen. Doch dann fand ich den Prozess interessant. Ins Wanken gekommen bin ich später, als ich zu einem Bauern ging und ihm ein junges Schwein abkaufte. Geld gegen Leben. Das war krass.»
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Schätzungen zufolge müssen sich im Jahr 2050 bis zu zehn Milliarden Menschen auf diesem Planeten ernähren können. Staudacher: «Mit meiner Arbeit gelangte ich unweigerlich an Themen wie Ressourcenverknappung, Umweltschutz, Wasserfussabdruck etc. Wenn der Fleischkonsum weiter wächst, brauchen wir 2050 einen zweiten Planeten. Eines ist klar: Entweder wir kriegen unseren Heisshunger auf Fleisch in den Griff, oder wir setzen auf Alternativen und hoffen auf technologischen Fortschritt.»