«Wir würden gerne in unserer Heimat arbeiten», sagen Rubino und Alexander. «Aber die Löhne sind zu niedrig. Es reicht nicht für Essen und Miete.» Die beiden jungen Männer waschen sich gerade die Gesichter an einem Brunnen im Basler Wettsteinpark, als wir sie ansprechen. Seit einem Monat schlafen sie draussen. «Duschen wäre jetzt das Schönste!», sagt Rubino mit einem verlegenen Lachen.
Es ist ihnen unangenehm, mit zerrissenen Kleidern herumzulaufen und schlecht zu riechen, erzählen sie im Gespräch mit der Rumänisch-Übersetzerin Natalie Sigg. Sie arbeitet für den Verein Schwarzer Peter, der in Basel Gassenarbeit macht.
Hoffnung auf Arbeit
Rubino und Alexander sind aus Iași im Nordosten Rumäniens nach Basel gekommen, in der Hoffnung, einen Job zu finden. Doch auf dem Arbeitsmarkt haben sie schlechte Chancen, denn beide sind Analphabeten. «Ich habe mit sieben Jahren angefangen zu betteln, weil das Einkommen der Eltern nicht reichte», erzählt Rubino, der heute 30 Jahre alt ist. «Wenn man ein paar Tage nicht in der Schule war, ist es peinlich wieder hinzugehen.»
100 bis 150 Franken pro Woche für die Familie
Seit 16 Jahren zieht er durch Europa. Manchmal findet er Arbeit, aber nur schwarz. Rubino hat Windschutzscheiben an italienischen Ampeln geputzt, Fleischhälften durch deutsche Schlachthöfe getragen, britische Baustellen aufgeräumt und in skandinavischen Städten gebettelt. Zu Hause ist er nie länger als zwei Wochen, dann reicht das Geld nicht mehr.
«Weisst du was Glück ist?», fragt Rubino und gibt die Antwort gleich selbst: «Wenn es deinen Kindern gut geht. Ich hänge manchmal das Telefon auf, weil sie weinen und Hunger haben. Ich bin verzweifelt, wenn ich kein Geld schicken kann.»
Wenn es gut läuft, können Rubino und der fünf Jahre jüngere Alexander pro Woche 100 bis 150 Franken nach Hause schicken. Beide haben jung geheiratet und versorgen ihre Familien aus der Ferne. Beide sind Roma, wie die Mehrheit der Menschen, die in Basel betteln, seit im Juli 2020 das Bettelverbot aufgehoben wurde.
Diskriminierung in der Heimat
«Die meisten Bettelnden in Basel kommen aus verarmten Regionen in Rumänien», sagt Zsolt Temesvary. Er ist Gastprofessor für Soziale Arbeit an der Fachhochschule Nordwestschweiz und forscht zu Obdachlosigkeit von südosteuropäischen Migranten. Zusammen mit seinen Studierenden hat er auch Bettelnde in Basel befragt.
«Die meisten gehören zu Roma-Grossfamilien, die in ihrer Heimat von extremer Armut und Diskriminierung betroffen sind», sagt Temesvary. Er hat Siedlungen gesehen, wo Menschen in Bretterverschlägen hausen, ohne Zugang zu medizinischer Versorgung, ohne Möglichkeit für Kinder, eine Schule zu besuchen. Die Familien sichern ihren Unterhalt, indem einige Mitglieder in Westeuropa betteln.
In der Basler Bevölkerung vermuten viele mafiöse Strukturen hinter den Bettelnden. «Oft sagen die Leute, ich gebe dir nichts, denn du gibst das deinem Chef», sagt Alexander. «Aber unser Chef ist Gott. Wir wollen einfach unsere Familien durchbringen.»
«Normale Arbeitsorganisation»
Bisher gab es in Basel keine Verurteilung wegen bandenmässigen Bettelns, das weiterhin verboten ist. Allerdings ist der Begriff aus juristischer Sicht schwammig und für die Polizei in der Praxis schwierig zu überprüfen.
In Bern kam Alexander Ott, Chef der Fremdenpolizei, zum Schluss: «Wir stellen fest, dass die Bettlerei hochgradig organisiert ist. Die Personen stehen zum Teil in ausbeuterischen Strukturen zueinander und müssen das Geld abgeben.»
In Basel hingegen bekam Zsolt Temesvary von der Fachhochschule Nordwestschweiz bei seinen Befragungen keine Hinweise auf kriminelle Aktivitäten: «Es gibt eine bestimmte Struktur innerhalb dieser Roma-Grossfamilien. Natürlich kann es zu Aggression oder Gewalt kommen, aber das ist auch in allen anderen Familien so.» Dass es unter Bettelnden Strategien und eine Aufgabenverteilung gibt, sieht Temesvary als normalen Prozess der Arbeitsorganisation.
Wie geht es in Basel weiter?
In Basel stösst vor allem das aufdringliche Betteln auf Unmut: Manche Bettler gehen aktiv auf Passanten zu, verteilen Rosen oder Ballone und verlangen dann Geld dafür. Andere sitzen still am Strassenrand, vor sich einen Pappbecher für ein paar Münzen.
Die Basler Politik wird vermutlich noch vor der Sommerpause über ein weitgehendes Verbot des Bettelns entscheiden. Ob der Vorschlag der Regierung mit der Menschenrechtskonvention vereinbar ist, steht aktuell noch zur Diskussion.
Der Jurist Daniel Moeckli, Professor am Institut für Völkerrecht an der Universität Zürich, beurteilt Verbote kritisch, die auch das stille Betteln betreffen: «In einem liberalen Rechtsstaat kann es nicht die Aufgabe des Staates sein, Menschen vor unangenehmen Begegnungen zu schützen.»
Ein Eingriff ins Grundrecht sei nur gerechtfertigt, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet sind: «Das ist bei aggressivem Betteln der Fall. Aber nicht bei stillem Betteln.»