Das Leben des Karl Bürkli klingt wie der Plot eines schrägen Hollywood-Films. Der Sohn einer reichen Familie aus Zürich wird in Paris zum Sozialisten. Er arbeitet als Gerber, engagiert sich als Politiker und wandert in die USA aus, um eine Kommune zu gründen. Zurück in der Schweiz, arbeitet er als Wirt in einer Kneipe.
Selbst den Bürkli-Biografen Urs Hafner haben einige Wendungen in diesem Leben überrascht. Er hätte sich nicht träumen lassen, dass ein Patriziersohn in jungen Jahren nach Paris zieht und sich dort dann in die Theorien über die freie Liebe vertieft.
Freie Liebe und Luxus für alle
Bürkli entdeckt in Paris die Schriften des Frühsozialisten Charles Fourier. Der propagiert zum Beispiel, dass Frauen auch Frauen und Männer auch Männer lieben können. Fourier träumt von einer sozialpolitischen Utopie, will Spass und Luxus für alle, für Arme und Reiche gleichermassen.
Bürkli steht für eine sozialdemokratische und eine etwas verrückte Schweiz.
Der Sozialist Bürkli dagegen träumt nicht nur, er macht. 1851 gründet er in Zürich den Konsumverein, eine Art Genossenschaft.
Konsumverein und Kantonalbank
«Die Idee war, dass die Leute sich zusammenfinden und direkt an die Produkte kommen, die sie benötigen. Eben ohne den Zwischenhandel, der da Profit abschöpft», sagt Hafner. Die Idee ist so erfolgreich, dass mehr und mehr Konsumvereine gegründet werden.
Heute bestehen sie in Form des Grossverteilers Coop weiter. Bürkli gründet ausserdem die Zürcher Kantonalbank mit, die damals Geld für die kleinen Leute bereitstellt.
Und er prägt auch die politische Schweiz. «Ohne ihn gäbe es in der Schweiz keine direkte Demokratie», ist Biograf Hafner überzeugt. «Karl Bürkli ist der Erste, der Referendum und Initiative zusammengebracht hat. Dank ihm kam sie in die Zürcher Verfassung von 1868.» Natürlich habe es diese Bestrebungen auch in anderen Kantonen gegeben, aber ohne Bürkli wäre es nicht so weit gekommen, sagt Hafner.
Er steht für eine andere Schweiz
Bürkli begründet gleich zwei Schweizer Institutionen: das Genossenschaftswesen und die direkte Demokratie. «Beides gehört bis heute zur Schweiz. Aber in der herrschenden Erzählung der Schweiz über sich selbst spielt beides nur eine Nebenrolle.»
Die Hauptrolle dagegen spielt laut Hafner das Bild einer Schweiz, die vor allem von liberalen Eliten geprägt wurde. Vom Eisenbahnbaron Alfred Escher zum Beispiel. Tatsächlich sei das nur die halbe Wahrheit, sagt Hafner.
«Das herrschende Bild, das wir von der Geschichte der Schweiz im 19. Jahrhundert haben, ist immer ein liberales Narrativ.» Deswegen sei der Sozialist Karl Bürkli trotz seiner Verdienste so unbekannt. Gerade deshalb sei es so spannend, sich mit ihm zu beschäftigen. Bürkli eröffne einem ein ganz anderes Bild der Schweiz im 19. Jahrhundert.
Ein bisschen verrückt
Bürkli stehe für eine sozialdemokratische und eine etwas verrückte Schweiz. Man dürfe nicht vergessen, dass das Land Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ein europäischer Hort für Sozialisten und Anarchisten gewesen sei, sagt Hafner, «für Leute, die verrückte Utopien im Kopf hatten».
Einer wie Bürkli war vielleicht auch deshalb so erfolgreich, weil er die verrücktesten seiner Utopien nicht öffentlich machte. So war er zwar überzeugt davon, dass Frauen gleiche Rechte hätten. Praktisch setzte er sich allerdings nie dafür ein. Und auch die Idee von der freien Liebe behielt er bis ins hohe Alter lieber für sich.